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Die tekom hat vor Kurzem ein Whitepaper zum Stand der Digitalisierung in der Technischen Kommunikation herausgegeben. Die Studie „Die Technische Kommunikation im Aufbruch zur Digitalisierung“ erfragte Initiativen, Ziele, Akteure, Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung, sowie die erwarteten Veränderungen für die Rolle der Technischen Redaktion und ihren Wertbeitrag im Unternehmen. Ich werfe heute einen Blick als Dienstleister auf die Studie.
Transformation in die Digital Content Chain
Das Paper beschreibt, wie die Transformation in die „Digital Content Chain“ in zwei Wellen erfolgt ist bzw. gerade erfolgt. Von diesen Digitalisierungswellen haben wir schon zuvor hier im Blog geschrieben – das Bild passt einfach gut:
Die erste Welle bereitete den intelligenten Content vor: mit der Einführung von Component Contentmanagement-Systemen (CCMS), die der Studie zufolge in fast drei Vierteln aller Redaktionen eingesetzt werden, wurden Standardisierung und Modularisierung von Inhalten ermöglicht. Die Klassifikation von Inhalten wurde zunächst vorwiegend für das Variantenmanagement genutzt. Sie wurde allerdings nicht konsequent umgesetzt, auch weil sie nur als Unterstützung des internen Werkzeugs CCMS betrachtet und angegangen wurden.
Die zweite, aktuell relevante Welle führt die übergreifende Vernetzung mit anderen Systemen ein. Hier entsteht großer Bedarf an mit außen abgestimmten, konsequent zugewiesenen Metainformationen. Die damit entstehende „Intelligenz“ des Contents soll nun auch für publizierte Formate nutzbar werden und damit einen Mehrwert auch für Anwender:innen schaffen. Im Vordergrund steht hier das Thema Content Delivery, also das digitale Bereitstellen von Produktinformationen online. Im Hintergrund basiert der erzielbare Mehrwert sowohl für die Nutzer:innen, als auch für die Ersteller:innen der Informationen aber auf der Anbindung des Redaktionsprozesses und des Informationsprodukts in weitere digitale Prozesse, beispielsweise indem man manuelle Bearbeitungsschritte durch Automatismen ersetzt.
Ähnlich wie unser Reifegradmodell es beschreibt, müssen laut der Studie in der „digital content chain“, der Prozesskette für Entstehung und Nutzung digitaler Inhalte, zunächst mit Standardisierung, Modularisierung und Klassifikation die Grundlagen für intelligenten Content geschaffen werden, damit in weiteren Schritten intelligente Prozesse mit diesem Content arbeiten können. Und ganz wichtig dabei: das betrifft sowohl Automatisierung und Integration des Redaktionsprozesses mit anderen Datenprozessen im Unternehmen, als auch das Bereitstellen integrierbarer „intelligenter“ Information in automatisierten Kontexten wie Content-Delivery, Industrie 4.0 bzw. Digital Twin oder in zunehmendem Maße KI-Anwendungen.
Interessante Ergebnisse aus der tekom-Studie zur Digitalisierung
Welche Ergebnisse haben mich aber konkret überrascht oder vielleicht auch ein wenig enttäuscht?
Die am häufigsten genannten Ziele von Digitalisierungsbestrebungen lassen sich unter den beiden Begriffen
- „Mehrwert für den Kunden“ (neue Medien, neue Produkte und Services, neue Geschäftsmodelle, …) und
- „Effizienzgewinn“ (verbesserte Schnittstellen, Kostenreduktion, Wissenssicherung, …)
zusammenfassen. Beide Zielrichtungen dienen letztlich der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend digitalen Umfeld und waren erwartbar.
Allerdings ist nur in wenigen Redaktionen der Content bereits in ausreichendem Maß intelligent. Weniger als 15 % der befragten Redaktionen geben an, ein standardkonformes Klassifikationsmodell nach PI oder iiRDS zu verwenden. Unter PI-Klassifikation versteht man die Markierung von Informationseinheiten nach Produkt- und Informationskriterien. Der iiRDS-Standard besitzt dagegen ein eigenes Klassifikationsmodell. 20 % verwenden übrigens „kein klares“ und 30 % ein selbst entwickeltes Konzept. Hier besteht in der Branche großer Nachholbedarf, denn mit dem internen und externen Umfeld abgestimmte Klassifikationsmodelle sind eine Grundvoraussetzung für funktionierende digitale Einsatzszenarien.
Nur gut die Hälfte der Befragten betreibt bereits Content Delivery. Die meisten davon geben die Zahl der aktiven Content-Delivery-Projekte mit „eins“ an. Semantische und KI-Technologien werden von einem signifikanten Teil der Befragten zum Zeitpunkt der Umfrage überhaupt nicht eingesetzt (jeweils mehr als 40 %). Das zeigt, dass die oben beschriebene zweite Welle der Digitalisierung bisher nicht die gesamte Branche erfasst hat.
Ein wirklich positives Ergebnis: Die meisten Befragten (fast 80 %) berichten von spürbaren Veränderungen in der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen als Ergebnis von Digitalisierungsinitiativen. Insbesondere die Sichtbarkeit dessen, was die Technische Redaktion leistet, wird stärker von außen wahrgenommen. Dementsprechend sehen knapp 60 % auch eine Verbesserung der Wertigkeit der Technischen Redaktion im Unternehmen. Die Einbindung in abteilungsübergreifende Digitalisierungsprojekte lohnt sich also für die Technische Redaktion! Von dieser Rolle der Technischen Redaktion als zentrale Informationsdrehscheibe für sämtliche Produktinformationen sprechen wir oft und viel; umso schöner, wenn diese neue Rolle auch wirklich in der Praxis so wahrgenommen wird.
Fazit
Das Konzept der „intelligenten Information“ als Basis für digitale Content-Initiativen hat gerade erst begonnen, in der Branche richtig Fuß zu fassen— wie der Titel des Whitepapers ja auch beschreibt, geht es um einen Aufbruch. Noch gibt es in vielen Redaktionen erheblichen strategischen und technischen Nachholbedarf. Besonders auf der Ebene der Klassifikation von Inhalten ist noch viel Luft nach oben. Unsere Erfahrung als Dienstleister bestätigt diese Situation: zu den Themen Klassifikation, Taxonomien und Metadaten werden wir immer häufiger angesprochen.
Ganz grundlegend ist der Einsatz eines CCMS als Voraussetzung für alle weiteren Schritte im Digitalisierungsprozess. Trotzdem haben rund ein Viertel der befragten Industrieunternehmen noch kein solches System im Einsatz. Hier wird es dringend Zeit, sich mit dem Thema Systemeinführung zu beschäftigen, sonst bleibt der digitale Weg in die Zukunft verschlossen.
Wenn Digitalisierungsprojekte endlich durchgeführt werden, bewirken sie überwiegend positive Veränderungen für die Arbeit der Technischen Redaktion. Es lohnt sich also auf jeden Fall, das Thema anzugehen. Die tiefgreifendste Umstellung ist die deutlich intensivere, direktere Einbindung in die unternehmensweiten Abläufe und damit verbunden die Chance, sich mit der Rolle des „Information Hub“ an zentraler Stelle im Unternehmen zu positionieren. Alleine dieses Ergebnis aus der tekom-Studie zur Digitalisierung sollte für Technische Redaktionen eine Ermunterung sein, den Aufbruch zu wagen.
Hinweis Bezugsquelle
Die Studie „Die Technische Kommunikation im Aufbruch zur Digitalisierung“ von Daniela Straub und Wolfgang Ziegler kann kostenpflichtig über die tekom bezogen werden. Ergänzend dazu gibt es ein Whitepaper, das für tekom-Mitglieder kostenfrei im Downloadbereich erhältlich ist.