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Viele Unternehmen nutzen den Schwung der aktuellen Digitalisierungsbestrebungen, um auch ihre technische Kommunikation, also Datenblätter, Handbücher usw. elektronisch verwertbar zu machen. Wo vormals Papier und PDF als Maßstab dienten, soll Information nun auch online, mobil und interaktiv bereitgestellt werden.
Die Idee hinter „Information 4.0“ ist, die richtige Information zur richtigen Zeit an die richtige Person auszuliefern. Um das zu bewerkstelligen, muss im Vorfeld aber festgelegt werden, was jeweils hinter dem Begriff „richtig“ zu verstehen ist. Das bedeutet, dass Informationen systematisiert und in mundgerechte Bausteine (diese Metapher klingt nur für Leute abwegig, die keine Kinder haben) zerlegt und aufbereitet werden. Schnell fallen Begriffe wie Metadaten, Modularisierung, Taxonomien, HTML 5 oder Content Delivery. An diesem Punkt kommt man nur noch mit Mühe, wenn überhaupt, ohne ein Content-Management-System weiter. So führen derzeit recht viele Unternehmen, deren Technische Redaktion bisher vorwiegend Dokumente mit DTP-Werkzeugen (Desktop-Publishing) wie InDesign erstellt hat, ein Baustein-orientiertes CMS (auch „Component-CMS“ oder „CCMS“) als Publikationslösung ein.
Ist die Systementscheidung getroffen (als Goldpartner von Quanos empfehlen wir meistens deren ST4, aber das tut hier nichts zur Sache), das System installiert und die Mitarbeiter geschult, steht die Übernahme der bestehenden Dokumente ins neue System an. Und diese Migration bestehender Dokumente gestaltet sich möglicherweise wesentlich aufwändiger als gedacht. Warum das so ist, möchte ich in diesem Beitrag erläutern. Vergleichen wir dazu das Ausgangsmaterial mit dem Zielsystem.
Das Ausgangsmaterial
Verbreitete Werkzeuge, mit denen Dokument-orientierte Technische Redaktionen arbeiten, sind InDesign, Word oder FrameMaker. Unabhängig vom eigentlichen Tool finden sich eine Reihe von ähnlichen Merkmalen in der Redaktionsarbeit, die in unsere Betrachtung hineinspielen:
- Dokument-Dateien als Arbeits-Einheit
Die Datei ist die führende Informationseinheit im Prozess, auch wenn sich z. B. mit Buchfunktion oder Variablen im gewissen Umfang über- und untergeordnete Informations-Strukturen definieren lassen. Vom Inhalt her gedacht, agieren wir mit ganzen Dokumenten, bestenfalls in Kapiteln. Auf diesem Korn werden auch Varianten gebildet: Übersetzungen, Gerätevarianten, Dokumenttypen sind jeweils eigene Dateien. Bedingte Texte und Variablen leisten hier zwar je nach Werkzeug ihren Beitrag, das Ausmultiplizieren der Optionen im Griff zu behalten, ändern aber nicht das Grundprinzip. - Informationen sind linear strukturiert
Im Wesentlichen ordnen sich Absätze und Tabellen brav hintereinander von der Titelseite bis zum Anhang. Alternativ dazu verteilen sich Text- und Bildrahmen auf einzelne Seiten. Besonders bei eher werblich genutzten Informationen wie Datenblättern kann man von einem hohen Maß an individuellen Layout-Entscheidungen ausgehen. Beliebt ist es, komplexe Tabellen zu gestalten, die bis hinunter zur einzelnen Zelle mit unterschiedlichen Schriftarten, Rahmen und Hintergründen versehen sind. - Dokumente und Arbeitsprozesse hängen vom Werkzeug ab
Viele Prozesse sind auf das verwendete Werkzeug zugeschnitten und damit proprietär. In Word kann man Zeichnungen erstellen, in InDesign lassen sich Illustrator-Grafiken einbetten. Felder und Textmarken, Layout-Automatismen wie Silbentrennung, Seitenumbruch mit Schusterjungen-Regeln oder generierte Verzeichnisse sind praktische Hilfsmittel, die die Tools bereitstellen, die aber nur dort funktionieren.
Das Zielsystem
Baustein-orientierte Content-Management-Systeme sind deswegen eine hervorragende Basis für die Digitalisierung der Technischen Kommunikation, weil sie genau die Mechanismen mitbringen, um Informationen für die Digitalisierung zu systematisieren. Für unsere Betrachtung relevant sind u.a. diese Aspekte:
- Medienneutrales Arbeiten mit CCMS
CCMS sind auf die Ausgabe in diversen Zielmedien spezialisiert. Inhalte werden also nicht direkt layoutet, sondern als klassifizierte Elemente typisiert, z. B. als Überschrift, Auflistung oder Grafik mit Bildunterschrift. Wie diese Elemente im Ausgabemedium dargestellt werden, wird frühestens beim Erzeugen einer Publikation generisch anhand der Klassifizierung festgelegt. In digitalen Publikationen, z. B. im iiRDS-Format, kann das Layout auch vollständig dem anzeigenden System überlassen werden. Damit die Generik effektiv funktioniert, muss der Content im CCMS konsequent strukturell und semantisch aufbereitet sein. Das bedeutet auch, dass punktuelle, individuelle Anpassungen in der Darstellung nur sehr aufwändig zu realisieren sind und tunlichst vermieden werden sollten. - Textbausteine als Arbeits-Einheiten
Die Arbeit im CCMS dreht sich um Textbausteine, die vor einer Publikation zusammengestellt werden. Diese Bausteine können Hierarchien bilden (z. B. Kapitel und Unterkapitel), lassen sich mehrfach wiederverwenden (typisch z. B. für Sicherheitshinweise) und v. a. lassen sie sich mit Eigenschaften bzw. Metadaten versehen, die sie beschreiben (z. B. Titel oder Schlagwörter) oder nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren (z. B. als Sicherheitshinweis, als einem Produkt X zugehörig oder als nur relevant für Wartungstechniker). Auf Basis der Textbausteine erfolgt im CCMS die Ausbildung von Varianten und Versionen, und auch Übersetzung und Mehrsprachigkeit wird normalerweise auf diesem Korn verwaltet.
Womit Sie also rechnen sollten
Wir haben also als Ausgangsmaterial linear strukturierte, möglicherweise individuell layoutete Dokumente in proprietären Formaten. Diese sollen in ein System übernommen werden, in dem klassifizierte Textbausteine mit medienneutralen Inhalten zu Hierarchien und Publikationen zusammengestellt werden. Sie müssen also damit rechnen, dass eine Reihe von Änderungen und Ergänzungen bei der Migration notwendig sein werden.
Wie gut sich die Übernahme automatisieren lässt, hängt dabei zum großen Teil davon ab, wie heterogen und individuell gestaltet das Ausgangsmaterial ist. Hier die wichtigsten Überlegungen:
- Der Aufwand steigt mit der Heterogenität
Je heterogener die Ausgangsdokumente, aber auch je höher die gesteckten Ziele, was Wiederverwendung, Vereinheitlichung und Klassifikation von Bausteinen angeht, desto mehr Aufwand bedeutet das für die Content-Übernahme. Ein umfassender Migrationsplan, der sowohl technische Details der Abbildung von alt nach neu als auch eine Timeline der Übernahme-Aktivitäten beinhaltet, sollte auf jeden Fall erstellt werden. Positiver Nebeneffekt: Die dazu notwendige Analyse der Bestandsdaten lädt dazu ein, alte Ausnahmen und Sonderfälle auszumerzen. - Nicht alles muss mit
Nicht alle vorhandenen Dokumente müssen ins neue System übernommen werden. Je länger ein Dokument nicht mehr angefasst wurde, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es noch einmal überarbeitet wird. Hier lässt sich einiges an Aufwand einsparen. Denn sei es, weil Redaktionsteams sich nach und nach besser organisieren, oder weil die ganze Tech-Dok-Branche sich insgesamt weiterentwickelt, oder weil die Werkzeuge früher nicht so gut waren: ältere Dokumente verursachen erfahrungsgemäß mehr Aufwand als neuere. - Semantik fällt nicht vom Himmel
Aus der linearen Abfolge von Absätzen, Überschriften, Auflistungen, Grafiken und Tabellen der Ausgangsdokumente lassen sich zwar einige Strukturen und Attribute für das Zielsystem ermitteln. Aus einer Überschrift und dem nachfolgenden Text bis zur nächsten Überschrift lässt sich noch relativ leicht ein Textbaustein erzeugen. Aus einer zweispaltigen, einzeiligen Tabelle mit Warnsymbol-Grafik lässt sich vielleicht ein Warnhinweis ermitteln. Aber spätestens, wenn es darum geht, eine Folge von Listenpunkten als Handlungsanweisung mit Arbeitsschritten und Zwischenergebnissen zu erkennen, wird eine automatische Konvertierung schwierig. Auch das Klassifizieren der Bausteine, meinetwegen als Sicherheits- oder Wartungsinformation, oder als nur für den amerikanischen Markt relevant, lässt sich oft nur manuell nachträglich zuordnen. - Vorsicht bei Übersetzungen
Dass Ausgangsdokumente heterogen sein können, wirkt sich an einer Stelle besonders aus: Beim Übernehmen von Übersetzungen. Auch die Übersetzung basiert im CCMS auf dem Textbaustein als Einheit. Sind nicht alle übersetzten Dokumente exakt so strukturiert wie das Ausgangsdokument, weil beispielsweise eine Überschrift versehentlich zum Standard-Absatz wurde, kann die Zusammenführung schnell chaotisch werden. Wenn deshalb die vorliegenden Übersetzungen bereits mithilfe eines Translation-Memory-Systems (TMS) entstanden sind, empfiehlt es sich, nur die Ausgangssprache zu migrieren und die Übersetzung der Bausteine über die TMS-Anbindung abzuwickeln, die alle gängigen CCMS besitzen, um mit den zu erwartenden Hundertprozent-Matches günstig einen sauberen Übersetzungsstand zu erhalten. - Achten Sie auf Grafiken
Proprietäre Mechanismen und Formate lassen sich nicht immer übernehmen. Als Beispiel möchte ich hier auf Grafiken etwas näher eingehen. CCMS arbeiten i. d. R. mit dem medienneutralen XML-Format, um Inhalte zu strukturieren. Grafiken in gängigen Austauschformaten von PNG und JPG über TIFF und EPS lassen sich dort verwalten, anzeigen und einbinden. In den Ausgangsdokumenten finden sich aber nicht nur hauseigene Dateiformate wie Illustrator (AI) oder Photoshop (PSD) in InDesign oder in WMF-Container verpacktes EPS in MS-Word. Grafiken können auch direkt im Werkzeug gezeichnet sein und sind dann als Gruppe frei schwebender Objekt auf der Seite positioniert. Oder sie sind mithilfe der Grafikeinstellungen individuell beschnitten, skaliert und mit Effekten versehen. In all diesen Fällen ist eine Konvertierung in ein medienneutral verwertbares Format nötig. - Schützen Sie sich vor Doppelungen
Dass man Textbausteinen ggf. vielfach wiederverwenden kann, ist einer der großen Vorzüge von CCMS. Nach der Übernahme von Dokumenten, wo die Mehrfachverwendung eine eher untergeordnete Rolle spielt, bleibt hier ein großer Spielraum für Nacharbeiten. Es hat sich bewährt, bei der Migration dafür zu sorgen, dass zumindest Sicherheitshinweise, die ja gerne an vielen Stellen des gesamten Dokumentbestands in identischer Form wiederkehren, als eigene, wiederverwendbare Bausteine zu extrahieren und an zentraler Ablage-Stelle einzusammeln. Ähnlich lässt sich ggf. mit Konformitätserklärungen, einleitenden Bemerkungen u. ä. verfahren. Damit hat man einen guten Ausgangspunkt, um den Informationsbestand nach und nach von Doppelerfassungen zu bereinigen.
Schlussbemerkungen
Die Migration von DTP-orientierten Dokumenten in ein Baustein-orientiertes CCMS kann im einfachsten Fall (nicht zu viele homogene, strukturiert erfasste Dokumente, einfache Projektziele) sehr schnell und mit Bordmitteln (CCMS besitzen in der Regel eine Dokument-Import-Schnittstelle) vonstattengehen. Der Regelfall ist das unserer Erfahrung nach leider nicht.
Unerlässlich ist daher eine umfassende Analyse des Ausgangsmaterials und davon ausgehend ein ebenso umfassender Migrationsplan, der auch eine Zeit- und Ressourcenplanung beinhalten sollte. Da man die Fähigkeiten und Besonderheiten des neu beschafften CCMS vielleicht selbst noch nicht vollständig einschätzen kann, lohnt es sich fast in jedem Fall, sich dabei von einem erfahrenen Dienstleister beraten und auch begleiten zu lassen.
Ist Ihre Technische Dokumentation fit für die Digitalisierung? Planen Sie den Umstieg von DTP zu einem CCMS? Wir beraten Sie gerne zur Migration Ihrer Daten!