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Durch die Welt der Technischen Kommunikation ging gerade ein kollektives Aufatmen. Was war passiert? Die EU hat am 14. Juni die neue Maschinenverordnung 2023/1230 veröffentlicht. Oder ganz genau: die Verordnung (EU) 2023/1230 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2023 über Maschinen und zur Aufhebung der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 73/361/EWG des Rates. Sie ermöglicht – unter bestimmten Bedingungen – eine rein digitale Bereitstellung von Betriebs- und Montageanleitungen.
„Endlich!“, rufen viele. Aber ist diese Verordnung nun wirklich die Lizenz zum digitalen und wirtschaftlichen Fortschritt? Und was bedeutet sie für Hersteller und Technische Redaktionen?
Bedingungen für die digitale Betriebsanleitung
Der Countdown läuft: Bis zum 14. Januar 2027 läuft die Übergangsfrist, bis die Maschinenverordnung 2023/1230 die aktuell noch gültige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ablöst. Ab diesem Stichtag also dürfen wir Betriebsanleitungen allein in digitaler Form bereitstellen.
Einige Voraussetzungen müssen dabei berücksichtigt werden. Zum einen muss auf der Maschine, ihrer Verpackung oder im Begleitdokument eine Angabe zu finden sein, wie auf die digitale Anleitung zugegriffen werden kann. Das leuchtet ein und dürfte dank QR-Codes und Co kein großes Hindernis darstellen.
Zum anderen muss die Dokumentation für die voraussichtliche Lebensdauer einer Maschine, allerdings für mindestens 10 Jahre, online abrufbar sein. Dieser Punkt dürfte Herstellende schon eher vor Herausforderungen stellen:
- Wie ist die voraussichtliche Lebensdauer denn zu berechnen?
- Gibt es dafür standardisierte Verfahren?
- Was schreibt die Gesetzgebung dazu vor?
Diese und weitere Fragen werden Unternehmen sich in den nächsten Monaten stellen müssen, wenn sie ihre Betriebsanleitung ab 2027 nicht mehr auf Papier drucken möchten.
Außerdem stellt sich die Frage nach dem Format der digitalen Bereitstellung. Laut neuer Maschinenverordnung müssen Nutzende in der Lage sein, die digitale Betriebsanleitung ausdrucken, herunterladen und speichern zu können. Trotz der weiten Verbreitung von Smartphones muss der Zugriff auf die Doku jederzeit möglich sein, also auch bei Maschinen-, Strom- oder Netzausfällen. Das gilt übrigens auch für Betriebsanleitungen, die in die Software eines Produkts integriert sind.
PDF und Papier bleiben Wegbegleiter
Diese Bedingung der Maschinenverordnung zwingt uns also faktisch dazu, weiterhin PDF zur Verfügung zu stellen und damit bleibt die Dokumentation weiterhin auch am Papier orientiert. Ganz frei vom Papier sind wir also auch ab 2027 noch nicht.
Das zeigt sich auch in einem weiteren Punkt: Für Verbraucherprodukte müssen zumindest die Sicherheitsinformationen in Papierform geliefert werden. Dabei handelt es sich nicht nur um Produkte, die für Privatpersonen bestimmt sind, sondern auch um Maschinen, die unter vorhersehbaren Umständen in die Hände von Verbrauchern gelangen könnten.
Das wiederum führt uns zu einer weiteren Herausforderung für Hersteller: Know your customer. Wer nutzt die Maschinen wie und unter welchen Umständen? Ohne eine Zielgruppenanalyse ist eigentlich keine fundierte Entscheidung darüber möglich, wie die Doku bereitgestellt werden soll und muss. Die neue Maschinenverordnung liefert Unternehmen damit einen Grund mehr, die Bedürfnisse der eigenen Kunden zu kennen.
Zudem haben Anwendende beim Kauf einer Maschine die Möglichkeit, beim Hersteller die Betriebsanleitung auf Papier anzufordern. In solch einem Fall muss das Dokument innerhalb eines Monats kostenlos und gedruckt bereitgestellt werden.
Auch hier werden wir PDF-Dateien unter anderem dazu brauchen, um diesen doch recht unmittelbaren Anfragen nach Printdokumentation in kurzer Zeit gerecht werden zu können.
Topics für die digitale Zukunft
PDF stellt für die meisten Redaktionen keine große Herausforderung dar, da sie bisher ohnehin damit arbeiten. Allerdings sollten Hersteller und technische Redaktionen diese Gelegenheit auch zum Umdenken nutzen und sich fragen, wie all die wertvollen Informationen zu ihren Maschinen denn gewinnbringend und serviceorientiert eingesetzt werden können. Die Rede ist von modernem Content Delivery, hybriden Anleitungen mit Instruktionsvideos oder praktischen Apps mit Interaktionsmöglichkeiten. Denn mit der Zeit werden die Ansprüche der Kunden steigen, schließlich wollen auch sie wettbewerbsfähig bleiben und keine Ressourcen an veraltete Standardformate verschwenden.
Für Technische Redaktionen bedeutet das: Weg von der dokument- und kapitelbasierten Denkweise und hin zu einem Topic-orientierten Aufbau von Dokumentation. Damit können wir Informationen als geschlossene Bausteine verwalten und flexibel und medienunabhängig einsetzen. Das ermöglicht zum Beispiel gezieltes Suchen und Filtern von Informationen, bildet aber auch die Grundlage für erfolgreiche Content-Standardisierung.
Viele setzen diesen Ansatz bereits um. Redaktionen, die jedoch nach wie vor auf der Dokument- bzw. Kapitelebene arbeiten, sollten jetzt die Chance zur Umstellung ergreifen. So können sie ihre Informationen besser miteinander verzahnen und die Möglichkeiten für digitale Betriebsanleitungen effizienter ausschöpfen. Denn trotz all der Herausforderungen und offenen Fragen, die wir oben beschrieben haben, steht die Tür zur Digitalisierung mit der neuen Maschinenverordnung ein Stück weiter offen. Technische Redaktionen und Hersteller werden für sich klären müssen, wo sie noch nachjustieren müssen, um für die Zukunft ab 2027 gewappnet zu sein. Wir helfen Ihnen gerne dabei, solche Lücken zu identifizieren und offene Fragen zu beantworten.
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