Wenn es um einfache Sprache geht, dann begegnet mir regelmäßig ein Missverständnis, über das ich heute einmal schreiben möchte. Welches Missverständnis das ist? Dass einfache Sprache die „richtige Sprache“ ist. Das Missverständnis bemerkt man in ganz unterschiedlichen Situationen. Zum Beispiel, wenn kritisiert wird, dass ein Fachtext nicht in einfacher Sprache ist. Oder wenn sich jemand beschwert, dass unsere Blogposts nicht in einfacher Sprache sind. Und auch ganz allgemein, wenn etwas als „falsch“ bezeichnet wird, weil es nicht in einfacher Sprache ist.
Woran dieses Missverständnis liegt? Dazu muss ich etwas ausholen. Ich denke, das Ganze hat etwas mit Sprachkritik zu tun. Sprachkritiker neigen dazu, Sprache als „richtig“ oder „falsch“ zu betrachten. Das ist auf einer gewissen Ebene natürlich auch berechtigt. Sprache folgt gewissen Regeln; wenn man sie nicht einhält, dann werden Wörter, Texte, Sätze falsch. „Unfgu“ ist halt nicht „Unfug“, sondern einfach nur fehlerhaft.
Allerdings ist das nicht das, was Sprachkritiker umtreibt. Denen geht es ja eher darum, sprachliche Dinge zu verbieten, die an sich durchaus korrekt sind. „Vermeiden Sie Passiv.“ „Seien Sie sparsam mit Adjektiven. Sie sind meist überflüssig und v.a. subjektiv.“ „Anglizismen ausmerzen!“ Bei solchen Sprüchen werden sprachliche Mittel, die ja an sich richtig sind, plötzlich zu richtiger oder falscher Sprache. Und das ist wirklich Unfug.
Denn all diese sprachlichen Mittel sind zunächst einmal Möglichkeiten, wie wir uns ausdrücken können. Sie sind – bildlich gesprochen – Werkzeuge, die wir einsetzen, um Ziele zu erreichen. Ob das Werkzeug angemessen ist, entscheidet sich je nach Zielgruppe und Situation. Aber kein sprachliches Mittel ist an sich gut oder schlecht – nicht einmal das Genus, die Kellerassel der Flexionskategorien! Wenn sprachliche Mittel durchgängig als unpassend bzw. nicht mehr hilfreich empfunden werden, dann verschwinden sie über kurz oder lang von ganz alleine aus unserer Sprache.
Aber was hat das Ganze jetzt mit „einfacher Sprache“ zu tun? Einfache Sprache ist eine Sammlung von Regeln, wie man Texte schreiben soll/kann, um eine gewisse Wirkung zu erzielen. Sie ist also ein ausgewählter Satz an sprachlichen Werkzeugen. Die beabsichtigte Wirkung von einfacher Sprache ist – sehr vereinfacht gesagt –, Sachverhalte möglichst leicht verständlich an ein breites Publikum oder Lesende mit Verstehensschwierigkeiten zu kommunizieren. Natürlich gibt es noch andere Ziele (z. B. einen literarischen Text zu schreiben) oder andere Zielgruppen (z. B. Fachleute) und für die kann einfache Sprache manchmal auch der falsche Werkzeugsatz sein.
Das heißt: Ob einfache Sprache der richtige Werkzeugsatz ist, entscheidet sich erst mit der Kommunikationsabsicht (der Aufgabe) und der Zielgruppe. Genau wie beim Umgang mit anderen Werkzeugen: Manchmal reicht halt nicht ein Schraubendreher und man verwendet besser ein Skalpell.
Lieber Markus,
die Diskussion über den Sinn von einfache Sprache ist nötig, gerade wenn man z. B. technische Dokumentation erstellt. Aber dafür muss man unbedingt die verschiedenen Sichten auf Sprache mit den richtigen Begriffen versehen. Du redest von “einfacher Sprache” und zeigst ein Buch zu “Leichter Sprache” die eine ziemlich andere Sicht darstellt. Die neue Norm 24495-1 will einfache Sprache normieren und definiert dagegen vielmehr die wichtigsten Grundregeln eines User Experience Designs für Sach-/Fachtexte. Generelle Regeln zur Verständlichkeit von Sprache werden bunt gemischt mit Sprachregeln für Menschen mit Behinderungen. User Experience Design und Usability werden einfach mit Verständlichkeit gleichgesetzt usw. All das bewirkt unfreiwillig ein Chaos an Standpunkten, bei dem ich jedenfalls kaum noch erkenne, was nun für wen sinnvoll ist. Gerade Nutzer von Anleitungen, egal ob als Fachleute oder Konsumer, brauchen doch beide einfachste (!) und kontrollierte Satzkonstruktionen, um schnell die richtigen Handlungen ableiten zu können. Die eine Gruppe braucht dazu die richtige Terminologie des Fachgebiets die andere möglichst nur den allgemeinen Sprachwortschatz. Das hat aber nichts mit Leichter Sprache zu tun und auch nichts mit “Verstehensschwierigkeiten” auf Grund kognitiver Einschränkungen.
Lieber Dieter,
da hast du selbstverständlich recht. “Einfache Sprache”, “Leichte Sprache”, “User Experience / Usability” und “Verständlichkeit” werden oft genug durcheinandergeworfen. Das hat teilweise damit zu tun, dass es zwischen den Themen große Überschneidungen gibt (z. B. weil manches, was für Menschen mit kognitiven Einschränkungen gilt, auch aus Sicht der User Experience ist). Manchmal hängt das aber auch damit zusammen, dass die verschiedenen Thematiken einfach durcheinander gewürfelt werden. Das Ganze wäre sicher auch mal ein Thema für unser Blog. Vielleicht hast du ja Lust mal einen Gastbeitrag dazu zu schreiben. Mir ging es in dem Artikel aber gar nicht um dieses terminologische Wirrwarr. Sondern nur um “Einfache Sprache” und dass manche Leute aus der schreibenden Zunft die Forderung nach einfacher Sprache absolut setzen.
Die 24495-1, bei der zurzeit ja das DIS läuft, ist die deutsche Übertragung der internationalen Norm zu “Plain Language”. Da merkt man manchmal den unterschiedlichen kulturellen Zugang zu dem Thema. Allerdings ist mir keine unzulässige Vermischung zwischen User Experience und “Einfacher Sprache” bzw. “Plain Language” aufgefallen.
In der deutschen Ergänzung zur 24495-1 (DIN 8581-1) werden wir übrigens sehr viel detaillierter auf sprachliche Aspekte der Einfachen Sprache eingehen. Außerdem entsteht gerade eine deutsche Norm zu “Leichter Sprache” (DIN SPEC 33429). Vielleicht hilft das ja auch den Begriffswirrwarr ein wenig einzudämmen.