Barrierefreiheit und vor allem leichte Sprache hat in den letzten Jahren nach meiner Einschätzung eine echte Themenkonjunktur. Das hängt – neben der grundsätzlichen, gesellschaftlichen Relevanz der Inklusion – vor allem auch damit zusammen, dass es in Hildesheim und Leipzig mittlerweile zwei sehr produktive Forschungsstandorte für Leichte Sprache gibt.
Trotz der intensiven Diskussionen und Arbeit der letzten Jahre gilt es aber immer noch beträchtliche Forschungslücken zu schließen. Ein blinder Fleck in der Analyse von Texten in leichter Sprache war bisher die designerische Komponente: Wie lassen sich Bilder und Typographie einsetzen, damit sie das Verständnis der Zielgruppe bestmöglich unterstützen?
Mit „Bild & Type. Mit Typographie und Bild barrierefrei kommunizieren“ legt nun eine Forschungsgruppe aus Merseburg einen Band vor, der dieses Thema näher erkundet. Die darin enthaltenen Untersuchungen stammen überwiegend aus betreuten Seminararbeiten und Auszügen aus Abschlussarbeiten. Wer nun befürchtet, dass Forschende, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, dem anspruchsvollen Thema nicht gewachsen sein könnten, der kann hier beruhigt sein: Die Arbeiten haben durchweg ein hohes wissenschaftliches Niveau, viele Arbeiten sind primär empirisch angelegt, im Sinne eines mixed-methods-Ansatzes, aber mit qualitativen Untersuchungen ergänzt.
Das Themenspektrum reicht dabei sehr weit. Den Band eröffnet eine detaillierte Analyse des Forschungstands durch die Herausgeberin. Wer sich genauer über die Rolle von Bild und Typographie in der leichten Sprache informieren möchte, hat hier eine hervorragende erste Anlaufstation.
Auf diese Einführung folgt ein Part, der sich mit typografischen Aspekten in der leichten Sprache beschäftigt. Die Themenstellungen sind erfreulich breit gestreut: Projektbeispiele wie die Optimierung einer Informationsbroschüre (Lange/Römer/Schneider) stehen neben allgemeineren Themen wie die Frage nach einer barrierefreien Typographie für mobile Endgeräte (Alexander/Geue/Holzheuser/Schute). Zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem Vergleich von verschiedenen Schriften und liefern damit wichtige Entscheidungskriterien für die Auswahl der Fonts für Texte in leichter Sprache (Rohde/Stechert sowei Alexander/Peschke). Diese Auswahl wurde bisher von vielen Praktikern fast ausschließlich auf Arial beschränkt – eine eher ungeeignete Option wie sich jetzt zeigt.
Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem Einfluss von Bildern auf die Verständlichkeit von Texten in leichter Sprache. Auch hier sind wieder eher orientierende Beiträge neben vielen empirischen Arbeiten versammelt. Praktiker können hier wertvolle Impulse für die Gestaltung ihrer Text in leichter Sprache erhalten. Gerade beim Bildeinsatz lässt sich die Verständlichkeit der Texte für die Zielgruppen noch deutlich steigern (Alexander/Wünsche).
Insgesamt also ein wichtiges Buch, das sowohl Forschungslücken schließt als auch wichtige Erkenntnisse für die Arbeit der Praktiker und Praktikerinnen im Feld leichte Sprache bietet. Allerdings wird man enttäuscht werden, wenn man Einblicke über die leichte Sprache hinaus erwartet. Der Bildeinsatz in der barrierefreien Kommunikation hätte noch deutlich mehr Aspekte zu behandeln, z. B. die Erklärung von Bildern für blinde Textrezipienten, die Frage der richtigen Farbwahl für unterschiedliche Sehstörungen oder die Untertitelung von Gehörlosenvideos. Diese Enttäuschung hätte man leicht vermeiden können, denn der Buchtitel weckt mit dem Stichwort „barrierfrei“ unnötigerweise Erwartungen, die das Buch nicht halten kann. Diese Erwartungen sollte das Buch aber auch gar nicht erfüllen: Alle Aspekte der Barrierefreiheit abzudecken, hätte dem Band viel von seiner Lesbarkeit und Nützlichkeit genommen.
Hinweis: Das hier besprochene Buch wurde uns vom Verlag kostenfrei als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Der Verlag hat keinerlei Einfluss auf den Inhalt dieser Besprechung genommen.
Literatur: Alexander, Kerstin (Hrsg.): Mit Typographie und Bild barrierefrei kommunizieren. Forschungsstand und Studien. Berlin: Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur, 2019. 382 Seiten. EUR 49,80. ISBN: 978-3-7329-0584-3.