Von all den seltsamen grammatischen Kategorien, die unsere Sprache so zu bieten hat, ist das Genus vermutlich die allerseltsamste. Klar, auch andere Kategorien haben so ihre Seltsamkeiten zu bieten: Der Konjunktiv, den fast niemand mehr bilden kann. Das Passiv, das keiner mag und alle verwenden. Oder den Superlativ, den alle kennen, aber niemand weiß, wie die Grundform dazu lautet. Und trotzdem schlägt das grammatische Geschlecht sie alle, was den Strangeness-Faktor angeht um Längen.
Das fängt schon mit der Bezeichnung für diese grammatische Kategorie an. Warum heißt es eigentlich das Genus, wo das Wort doch eigentlich mit -us endet und das doch normalerweise auf Maskulinum hindeutet? Stimmt eigentlich das Genus des Genus? Oder hieße es besser der Genus? Ja, das Genus stimmt schon und das liegt an einer der vielen Seltsamkeiten des ach so logischen Lateins, denn das hält zur Freude aller Lateinschülerinnen und -schüler eine Deklinationsklasse bereit, deren Wörter zwar in -us enden, aber trotzdem Neutrum sind. Ist verwirrend, aber wenigstens ist das Genus auch wirklich das Genus.
Nächster seltsamer Punkt: Das Genus ergibt keinen Sinn! Zunächst wirkt es zwar trügerisch nachvollziehbar: Männlich, weiblich, sächlich. Wie viel einfacher geht es denn noch? Nur dass halt dann nicht klar ist, warum jetzt der Löffel männlich sein soll, die Gabel weiblich und das Messer sächlich. Als ich das letzte Mal nachgesehen hatte, waren alle drei eine Sache. Das Mädchen allerdings nicht, genauso wenig wie das Weib. Die Geschäftsleitung ist dagegen leider oft immer noch mehrheitlich männlich; da ist der Vorstand inhaltlich schon wieder näher an den faktischen Zuständen im zweiten Fünftel des 21. Jahrhunderts.
Nun gibt es auch andere grammatische Kategorien, die irgendwie seltsam sind, z. B. der Konjunktiv oder – na ja – starke Verben. Allerdings tun die uns den Gefallen, mit der Zeit so langsam aus der Sprache zu verschwinden. Jetzt nicht unbedingt von heute auf morgen, aber doch so, dass man das im Laufe eines Lebens schon feststellen kann: Heute sagt ja zum Beispiel kaum jemand mehr „Ich buk eine Spargelquiche.“ Und das liegt jetzt auch nicht daran, dass gerade keine Spargelzeit ist, sondern dass „buk“ doch extrem altmodisch klingt. Früher fanden die Leute aber „buk“ ganz o.k.
Beim Genus verschwindet aber gar nichts. Es gibt kein Substantiv, das ohne auskommt. Sogar wenn wir uns aus anderen Sprachen, die kein Genus haben, Wörter suchen, hängen wir denen ein Genus ans Bein. Das Blog, die E-Mail, der Influencer, im Englischen sind die alle ganz gut ohne ausgekommen.
Zusammengefasst: Das Genus ist ein Ausbund an Seltsamkeit. Für mich ist es sozusagen die Kellerassel unter den grammatischen Kategorien. Sieht seltsam aus, man weiß nicht so genau, was es tut, kommt überall vor und ist nicht totzukriegen. Irgendwie schon wieder liebenswert, wenn man es recht bedenkt…