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Warnhinweise sind eigentlich eine feine Sache. Gut umgesetzt sorgen sie in Anleitungen, Handbüchern oder Online-Hilfen für das genau richtige Maß an Aufmerksamkeit, das es braucht, damit Anwender ein Produkt trotz konstruktiv bedingter Restgefährdungen sicher bedienen können. Und damit sie sich an den Stellen, wo es wirklich gefährlich wird, exakt an ein vorgegebenes und für sicher befundenes Vorgehen halten. Kein Wunder, dass es für die korrekte Klassifizierung und Gestaltung von Warnhinweisen zahlreiche Normen, Richtlinien, ganze Seminarreihen und mittlerweile meterweise Fachliteratur gibt.
Nun könnte man auf die vermessene Idee kommen, dass ein bisschen mehr Warnhinweise einer Anleitung eigentlich nicht schaden könnten – frei nach dem Motto: Je mehr Warnhinweise, desto mehr Sicherheit. Eine fatale Idee, die in der Anleitungslandschaft, wie ich sie als Berater kennengelernt habe, leider gar nicht so selten vorkommt.
Zu viele Warnhinweise – Ein krasses Beispiel
Zeigen kann ich Ihnen die Anleitung leider nicht, erzählen muss ich Ihnen davon aber unbedingt. Denn diese Anleitung hat mir vor vielen Jahren gezeigt, wo es hinführt, wenn ein Unternehmensstandard das Thema Sicherheitsinformationen in Technischen Dokumenten falsch aufzäumt:
Wir befinden uns in einem zentralen Kapitel einer Maschinendokumentation, nämlich dort, wo beschrieben wird, wie man die Maschine einschaltet. Das Kapitel beginnt nach der Überschrift mit drei Warnhinweisen in „Kastenform“ – fein säuberlich gestaltet nach ANSI Z 535.6 (American National Standards Institute, Norm für Sicherheits- und Warnhinweise in produktbegleitenden Dokumenten). Auf die Warnhinweise folgt eine Abfolge von fünf nummerierten Handlungsschritten, die nochmals durch einen auffälligen Warnhinweis in Kastenform unterbrochen wird.
Einerseits könnte man sagen, dass in diesem Kapitel alles richtig gemacht wurde. Jeder einzelne Absatz für sich genommen ist vorbildlich gestaltet. Ob Überschrift, Warnhinweis oder Handlungsaufforderung, alles folgt einem branchenüblichen Standard. Im Zusammenspiel der Informationen aber ergibt sich organisierte Unlesbarkeit.
Wie eine verwürzte Suppe
Wo genau liegt das Problem? Zum einen in der Häufung an auffällig hervorgehobenen Informationselementen. Auf einer A4-Seite dieser Anleitung befinden sich vier kastenförmige Warnhinweise. Diese Warnhinweise ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich, weil sie – wie normativ gefordert – optisch hervorgehoben wurden. Die Kerninformation – Wie schalte ich die Anlage ein? – geht dazwischen unter. Das ist wie bei einer verwürzten Suppe: Weil das, was ursprünglich das Besondere ausmachen sollte, in den Vordergrund tritt, wird das Ganze ungenießbar.
Damit noch nicht genug. Eigentlich braucht es für das Einschalten der Anlage nur fünf Handlungsschritte. Fünf ist eine Zahl, die man als Anwender gut übersehen kann. Aber das ist in unserem Beispiel nur die halbe Wahrheit. Denn durch die Warnhinweise kommen weitere Handlungsschritte dazu, pro Warnhinweis zwei Stück. Das Ergebnis: Eigentlich muss man als Anwender 5 + 4*2 Handlungsschritte befolgen. Diese Handlungsschritte stehen aber munter über das Kapitel verteilt – mal in einem hervorgehobenen Warnhinweis, mal in einer nummerierten Handlungsaufforderung ohne optische Hervorhebung.
Ungenießbar – und leider auch gefährlich
Um bei der Essensmetapher zu bleiben: Aus einer feinen Suppe ist ein grober Eintopf geworden, in dem alles munter durcheinander schwimmt.
Zugegeben: Eine Suppe muss nicht jedem schmecken. Eine Anleitung dagegen muss jeden sicher instruieren, der ein Produkt bedient. Und damit verabschieden wir uns aus der Welt der Kulinarik in die Wirklichkeit einer Maschinenhalle: Was ein Anwender nicht versteht, kann er auch nicht einhalten. Und wenn Warnhinweise für Unverständnis sorgen, kehren sie sich in ihr Gegenteil. Anstatt Gefahren abzuwenden, werden sie zu einer richtiggehenden Gefährdung.
Eine Gefährdung übrigens nicht nur für die Produktanwender, sondern auch für die Redaktionen, die solche Anleitungen erstellen. Wenn schon Kunden mit dieser Intransparenz in den Inhalten nicht zurechtkommen, ist damit zu rechnen, dass auch redaktionsseitig die Durchdringung des selbst geschriebenen Contents fehlt oder mit der Zeit verschwindet. Und damit läuft man langfristig in ein schwerwiegendes Qualitäts- und Effizienzproblem.
Zurück auf den richtigen Weg
Wie unterstützen wir bei doctima unsere Kunden, wenn wir zum Beispiel im Rahmen eines Doku-Relaunches auf eine solche systematische Schieflage in Content und Standardisierung stoßen?
Ein wichtiger Schritt besteht in fast jedem Projekt darin, dass wir eine repräsentative Anleitung auf die gewünschten neuen Standards umstellen. Teil der Umstellung ist auch ein Konzept für Sicherheitsinformationen und Warnhinweise. Wann und an welchen Stellen in einer Anleitung werden überhaupt hervorgehobene Warnhinweise verwendet? Wie sind sie strukturell und inhaltlich aufgebaut?
Insgesamt arbeiten wir darauf hin, dass möglichst wenig Sicherheitsinformationen in der auffälligen Form benötigt werden. Das gelingt uns meist dadurch, dass wir auf maximal transparente Textstrukturen und klare Abfolgen setzen. Wo jede Information ihren logischen Platz findet, muss man nur noch im Ausnahmefall etwas hervorheben. Warnhinweise gibt es natürlich weiterhin, sie werden aber in der Regel deutlich weniger, ohne dass die Normkonformität der Dokumente leidet.
Am Schluss ist es so, dass – jetzt kehre ich doch noch einmal in die Welt der kulinarischen Metaphern zurück – die Warnhinweise wieder das Salz in der Suppe sind. Wo es darauf ankommt, treten sie aus dem Kontext hervor und tun einfach das, was sie sollen: Systematisch für Sicherheit sorgen und Schaden abwenden.