In unserem Jubiläumsjahr 2023 gibt es am Monatsanfang immer einen etwas anderen Blogartikel. Vergangenen Monat haben wir auf die Anfänge von doctima ins Jahr 1998 geschaut. Heute nehmen wir Sie mit auf eine Zeitreise zum Anfang des 20. Jahrhunderts. So alt sind wir eindeutig noch nicht, aber unser altes und neues Büro befindet sich auf historischem Grund im Gewerbegebiet Fürth-Atzenhof. Wer hier durch die Straßen geht oder fährt, stößt unweigerlich auf zahlreiche historische Gebäude zwischen modernen Bürohäusern, die deutlich zeigen, was hier früher los war: Sie sind Zeugen des alten Flugplatzes Atzenhof, der hier seine Heimat hatte und von dem ich heute ein wenig erzählen will. Dazu stelle ich Ihnen auch eine besondere Frau vor, die die Luftfahrt in Deutschland mitgeprägt hat.
Vom Flugplatz zum Gewerbegebiet
Im Jahr 1915 beginnt unsere Geschichte mit dem Bau einer Militärfliegerstation durch die Königlich Bayrische Fliegertruppen. Warum genau hier? Die Bahnstrecke Nürnberg – Bamberg, die Flussmündung (Pegnitz und Rednitz werden unweit zur Rednitz) und die Kirchtürme der Umgebung waren markante Landmarken für den Flug auf Sicht. Außerdem liegt das Gelände leicht erhöht und ist daher nebelfrei.
Kurz nach Baubeginn wurde die Fliegerschule 3 nach Fürth verlegt. Die Flugschüler mussten allerdings noch in Zelten leben oder wurden in der Stadt untergebracht. Erst 1918 war der Flugplatz fertig.
Das Ende des 1. Weltkriegs markierte den Übergang zum zivilen Flugverkehr. Der Versailler Vertrag drohte jedoch, diese Entwicklung gleich wieder zu stoppen. Fürth schaffte es aber auf die Liste internationaler Flughäfen. Somit konnte der zivile Flugbetrieb weiterlaufen. 1920 startete der erste Linienflug (Post) und ab 1921 folgten die ersten Passagierflüge. Von hier startete angeblich auch der erste Flug einer Fußballmannschaft zu einem Auswärtsspiel: 1933 reiste die Spielvereinigung Fürth zu Hertha BSC. Trotz Turbulenzen beim Flug gewannen die Fürther mit 3:2.
Heute kaum vorstellbar: 1926 war Fürth der achtgrößte Flughafen (von insgesamt 88) in Deutschland. Doch der zunehmende Betrieb stellte auch immer höhere Ansprüche an die Infrastruktur, die das doch recht kleine Gelände nicht mehr erfüllen konnte. Mit dem Bau und der Inbetriebnahme des Flughafens Nürnberg im Jahr 1933 war das Ende der zivilen Luftfahrt in Fürth-Atzenhof besiegelt.
Trotz der militärischen Nutzung während des 2. Weltkriegs, blieb der Flugplatz nahezu unbeschadet. Dem zivilen Ungehorsam eines Kommandanten ist es zu verdanken, dass die historischen Gebäude nicht dem Nerobefehl zum Opfer fielen. 1945 wurde der Flughafen an die US Air Force übergeben. Später zog hier die US Army ein und nutzte das Gelände als „Monteith Barracks“. Erst nach dieser Übernahme bekam der Flughafen übrigens eine asphaltierte Start- und Landebahn. Während der Nürnberger Prozesse diente der Flughafen für den Transport der Beteiligten.
Ab 1960 waren hier in Atzenhof nur noch Hubschrauber stationiert. Der Bau des Main-Donau-Kanals 1970 reduzierte die Größe des Geländes deutlich. Einen Teil der Fläche wandelten die Amerikaner in einen Golfplatz um, der noch heute in Betrieb ist (vis-à-vis zu unserem neuen Büro). 1993 zog das amerikanische Militär ab und übergab den Flugplatz an die Bundesrepublik. Einige historische Gebäude wurden unter Denkmalschutz gestellt und in die Planungen für die heutige Nutzung als Gewerbegebiet F2 Golfpark Fürth einbezogen.
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In der oben eingebetteten Karte des Bayern-Atlas können Sie das Gebiet von oben erkunden. Unser altes und neues Büro sind hier markiert. Die historischen Gebäude können Sie anhand der Abbildung rechts zuordnen. Deutlich zu erkennen ist noch die Position der alten Start- und Landebahn, auf der sich heute Solaranlagen befinden.
Melli Beese – eine Pionierin der deutschen Luftfahrt
Auch wenn Amelie Hedwig Boutard-Beese, kurz Melli Beese, meines Wissens nie in Fürth war, so hat die Stadt ihr doch ein Denkmal in Form einer Straße auf dem Gelände des alten Flugplatzes gesetzt. Viele Jahre ist unser Team tagtäglich in der Melli-Beese-Straße 19 angekommen. Mit unserem Umzug eine Straße weiter sagen wir auch „Auf Wiedersehen“ zu einer starken Frau, die es wirklich nicht leicht hatte in ihrem kurzen Leben und die es wert ist, dass wir uns an sie erinnern. Sie war die erste Frau, die in Deutschland die Prüfung zum Erwerb eines Privatpilotenscheins ablegte. Ein steiniger Weg, doch fangen wir von vorne an.
Geboren 1886 in ein gutbürgerliches Elternhaus, hatte Melli Beese viele Möglichkeiten, die Frauen in der damaligen Zeit nicht hatten. Sie studierte in Dänemark Bildhauerei (was in Deutschland nicht möglich war), interessierte sich aber sehr für Naturwissenschaften und Aviatik. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1910 besuchte sie als Externe Vorlesungen in Mathematik, Mechanik, Schiffbau und Flugmechanik. Ein reguläres Studium der Fächer blieb ihr als Frau verwehrt.
Auch die Suche nach einem Fluglehrer gestaltete sich schwierig, aber am Flugplatz Johannisthal wurde sie schließlich angenommen. Zum Fliegen kam sie aber eher selten. Zum einen bot das Wetter wenig Gelegenheiten für die damaligen Flugzeuge, zum anderen konnte sie sich nur schwer gegen die Ablehnung durch ihre männlichen Kollegen und Fluglehrer wehren und hatte auch unter Sabotage zu leiden. Bei einem der wenigen Flüge stürzte sie mit ihrem Lehrer aus 20 Metern ab und brach sich den Knöchel. Die Behandlung mit Morphin löste eine Sucht aus, die sie ihr Leben lang begleitete. Ihr Fluglehrer sah die Bruchlandung als Beweis dafür an, dass Frauen in Flugzeugen Unglück bringen und verweigerte ihr eine weitere Ausbildung.
Bei ihrer nächsten Ausbildungsstation bei den Rumpler-Werken lief es ebenfalls nicht besser. Ihr erster Prüfungsflug endete fast mit einem Unfall. Nach dem Start setzte der Motor aus. Sie leitete geistesgegenwärtig die Landung ein und stellte am Boden fest, dass ihr Benzintank manipuliert wurde. Den zweiten Anlauf wagte sie erst bei Abwesenheit ihres Fluglehrers und der anderen Flugschüler. An ihrem 25. Geburtstag absolvierte sie die geforderten Rundflüge in den frühen Morgenstunden und erhielt die Flugzeugführerlizenz mit der Nummer 115 als erste Frau in Deutschland.
Bei den Johannisthaler Herbstflugwochen 1911 startete sie gegen alle Widerstände und das anscheinend zu erfolgreich. Sie stellte mit zwei Stunden und neun Minuten einen neuen Dauerweltrekord für Frauen auf. Dazu gelang es ihr, den Höhenweltrekord für Frauen bei einem Flug mit Passagier von 400 m auf 825 m zu steigern. Bei den Wettbewerben lag sie am vierten Tag auf Platz 2. An Tag 5 durfte sie nicht mehr starten: aufgrund des Wetters wäre der Start einer Frau nicht zuzumuten …
1912 gründete Melli Beese gemeinsam mit Charles Boutard und Hermann Reichelt die Flugschule Melli Beese GmbH und wollte hier vieles besser machen. Die Qualität der Ausbildung sprach sich schnell herum und die Zahl der Flugschüler:innen stieg. Parallel zum Ausbildungsbetrieb entwickelte Melli Beese eigene Flugzeugmodelle und erhielt mehrere Patente für ihre Konstruktionen.
1913 heiratete sie Charles Boutard und nahm die französische Staatsbürgerschaft an. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs endete nicht nur der zivile Flugbetrieb. Melli Beese und ihr Mann galten nun als feindliche Ausländer – mit Folgen: Ihre Flugschule und Fertigung wurde geschlossen, vorhandene Flugzeuge und Konstruktionen zerstört. Schließlich wurden die beiden verhaftet und anschließend in Wittstock interniert, wo beide an Tuberkulose erkrankten.
Nach dem Krieg stand das Ehepaar vor den Trümmern seiner Existenz. Der Versailler-Vertrag verbot den Bau und Betrieb von Flugzeugen in Deutschland. Einen Teil der Entschädigungen fraß die steigende Inflation sofort wieder auf. Und schließlich mussten beide feststellen, dass sie durch das Arbeitsverbot technisch abgehängt waren. Die Luftfahrt hatte sich während des Krieges rasant weiterentwickelt, aber ohne sie.
So scheiterte Beese beim Versuch, ihre Fluglizenz zu erneuern. Die Ehe mit Boutard zerbrach. Melli Beese litt zunehmend unter Depressionen und ihrer Morphiumsucht. Am 21. Dezember 1925 setzte sie mit nur 39 Jahren ihrem Leben ein Ende. Zuvor schrieb sie noch die Worte „Fliegen ist notwendig. Leben nicht.“ auf einen Zettel.
Bildnachweise:
Titelbild: Flughafen Fürth, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_05338-02-065-AL-FL / Public Domain Mark
Melli Beese auf ihrer Rumpler-Taube 1911, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Melli_Beese_auf_ihrer_Rumpler-Taube,_1911.jpg