Ja, das gibt es wirklich. Man stöbert mal wieder zu seinem Leib-und-Magen-Thema „Verständlichkeit“ und stößt auf ein kostenloses Selbstlernheft des Bundesministeriums des Innern (oder genauer gesagt, der „Bundesakademie für öffentliche Verwaltung“). „Spannend“, dachte ich und habe mir das Werk einmal näher angesehen.
Die Autorin, Monika Salchert, war mir bisher nicht als Verständlichkeits-Expertin aufgefallen. Eine kurze Recherche zeigte mir: Sie ist Lokal-Journalistin und Buchautorin von Werken wie „Mit Genuss einkaufen in Köln und in der Region“ und „Entspannt essen gehen mit Kindern“. Das muss an sich kein Manko sein; in diesem Fall merkt man der Broschüre die fehlende fachliche Grundlage aber an. Die Ratschläge beschränken sich auf Altbekanntes aus der Mottenkiste der traditionellen Stilistik. Passiv vermeiden, Fremdwörter erklären, keine Abkürzungen – im Prinzip ist das nicht verkehrt, aber im konkreten Einzelfall reicht solch eine pauschale Aussage meist nicht aus. Da habe ich schon die seltsamsten Stilblüten gesehen: Fachleute, die anderen Fachleuten Standardterminologie erklären; überlange Tabellenspalten; seltsame Satzanschlüsse, um das Passiv zwanghaft zu vermeiden. Pauschale Regeln richten im Alltag oft mehr Schaden an, als sie nutzen.
Für die berufliche Fortbildung hat mir auch der Aspekt „Verständlichkeit und Recht“ gefehlt. Oft genug sind im Berufsalltag gesetzliche Anforderungen der Grund für unverständliche Formulierungen. Wie geht man damit professionell um? Mit solchen Fragen lässt die Autorin ihre Leser leider allein.
Nun könnte man sagen, dass in einer kurzen Broschüre mit 46 Seiten Text dafür nicht der Raum ist. Dann frage ich mich allerdings, warum sich der Text ein Kapitel über die sogenannte „Neue Rechtschreibung“ gönnt. Zur Erinnerung: Die Rechtschreibreform war 1996. Ein Berufseinsteiger hat in seiner Schullaufbahn höchstwahrscheinlich nie etwas anderes kennengelernt. Und wer nach 17 Jahren die Änderungen immer noch nicht kennt, hat weiß Gott andere Probleme als nur die Verständlichkeit seiner Texte.
Insgesamt leidet das Selbstlernheft darunter, dass seine Zielgruppe nicht wirklich deutlich wird. Anwendungsfälle im beruflichen Schreiben gibt es viele: Vom Verwaltungsschreiben über das Pflichtenheft bis hin zum Roman – Verständlichkeit ist für die Ersteller dieser Texte wichtig, die Probleme und Lösungen sehen aber jeweils anders aus. Die Beispieltexte der Broschüre reichen vom belletristischen und journalistischen Schreiben bis hin zu amtlichen Schriftstücken. Etwas mehr Fokus hätte dem Text gutgetan. Bezeichnend, dass auch das Thema „Zielgruppe“ und Verständlichkeit bestenfalls gestreift wird. Dabei herrscht in der Verständlichkeitsforschung mittlerweile Einigkeit, dass Verständlichkeit immer von der Zielgruppe um dem kommunikativen Kontext abhängt.
Wohlgemerkt, das Selbstlernheft hat auch seine Verdienste. Es ist selbst verständlich geschrieben und enthält Zusammenfassungen der wichtigsten Punkte und zahlreiche Beispiele, wie es geht (und wie es nicht geht). Schreibübungen regen zum Ausprobieren an. Anhand von Musterlösungen lernt man zu erkennen, worauf es ankommt. Für absolute Neulinge oder für den Schreibunterricht in der Mittelstufe kann das Selbstlernheft also durchaus sinnvoll sein. Für professionelle Autoren aber reicht das Heft bei Weitem nicht.
Literatur: Salchert, Monika [2. Auflage/2012]: Verständliches Schreiben – Mehr Erfolg durch gute Texte. hg. Bundesakademie für öffentliche Verwaltung im Bundesministerium des Innern