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Es gibt diese Bücher, die wir Technischen Redakteure auf jeden Fall als Handwerkszeug kennen sollten. Und dann gibt es da noch die Bücher, die uns über die unmittelbare Alltagsarbeit hinaus inspirieren können. Auf ein solches Buch hatte ich gehofft, als ich auf „Narratives of Risk – Interdisciplinary Studies“ gestoßen bin. Und ich muss sagen, ich wurde auch nicht enttäuscht.
Risiko in Perspektive
Der Band versammelt auf mehr als 500 Seiten 21 wissenschaftliche Beiträge zur Risikokommunikation. Bemerkenswert ist dabei der breite fachliche Hintergrund: Literatur und Linguistik, Medizin, Theologie und Politologie. Entsprechend vielfältig sind auch die Themen:
- Texte, die für ihre Autoren zum Risiko werden,
- Texte, die vor Risiken warnen,
- Texte, die ein Risiko darstellen
– der Bogen ist weit gespannt.
Natürlich ist das nicht alles unmittelbar relevant für Technische Redakteure, wenngleich manches durchaus interessant ist und den Horizont erweitert, z. B. wenn es um das Risiko ewiger Verdammnis in Balthasar Münters Texten aus dem 18. Jahrhundert geht.
Ansonsten gibt es aber auch Beiträge, die uns direkt betreffen; auf einige möchte ich kurz eingehen. Allen voran ist hier ein Beitrag von Anastasia Parianou zu nennen, in der sie einen Ansatz zur Risikokommunikation in Gebrauchsanleitungen vorstellt. Kurz zusammengefasst: Eine Strategie zur Risikokommunikation muss das „Involvement“ der Leser und ihre Emotionalität berücksichtigen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass das Produkt bzw. die Technik abgelehnt wird und der Leser den Produktnutzen nicht realisieren kann. Sie demonstriert dies anschaulich an der Anleitung zu einem Notrufgerät für Senioren, die Befürchtungen der Leser ernst nimmt und durch geeignete kommunikative Maßnahmen (erklären, positives Feedback etc.) beseitigt.
Aase Voldgard Larsen zeigt mit Texten zur Nanotechnologie, wie durch kluge Risikokommunikation auf Unternehmens-Websites Vertrauen und Identifikation mit dem Hersteller aufgebaut werden kann. Sicherheit und Vertrauen, Warnhinweise und Kundenbindung – ein Gedanke, den es sich auch für Anleitungen weiterzuverfolgen lohnt.
Peter Langemeyer beschäftigt sich mit Jugendliteratur und welche Rolle Risiken darin spielen. Er stellt fest: „Risiko und Gefahr können […] einen Reiz ausüben.“ (S. 310) und „dass große Bedrohungen keine abschreckende Wirkung haben müssen. Im Gegenteil. […] Die Bereitschaft, eine Handlung einzugehen, steigt mit der Wahrscheinlichkeit des Scheiterns und der Höhe des eintreffenden Schadens oder Verlusts.“ Auch das ist ein Punkt, der in der Technischen Dokumentation eher wenig thematisiert wird: Haben unterschiedliche Zielgruppen ein unterschiedliches Risikoverhalten und wie ist ggf. damit umzugehen?
Karl Halvor Teigen geht in seinem Aufsatz der Frage nach, wie wir die Werte für statistische Wahrscheinlichkeiten in Texten für die Allgemeinheit mit Worten ausdrücken. Er zeigt, dass hier eine Fülle von Missverständnissen lauern, die letztlich auf dem unterschiedlichen Umgang von Fachleuten und Laien mit Risiken beruhen: „Affective, motivational, and cognitive aspects of risks may overrule statistical information about accident frequencies.“ In Anleitungen wird bisher die Wahrscheinlichkeit von Risiken ohnehin nur selten thematisiert. Auf der sicheren Seite sind wir deshalb aber noch lange nicht. Denn verstehen unsere Benutzer zum Beispiel wirklich den Unterschied zwischen „Warnung“ und „Gefahr“, wie die ANSI Z.535 ihn vorsieht?
Risiko und Dokumentation
Risiken spielen in der Technischen Kommunikation eine wichtige Rolle. Denn jedes einigermaßen komplexe Produkt bringt Risiken mit sich. In der Technischen Kommunikation sprechen wir allerdings seltener von den Risiken, stattdessen steht der Begriff der Sicherheit im Zentrum unserer Überlegungen. Wie mir beim Lesen des Buches bewusst wurde, kann das durchaus relevant sein. Denn Risiken beinhalten neben den Gefahren auch den Gewinn bzw. Nutzen, weswegen man das Risiko eingeht. „Zum Risiko gehört beides: Verlust und Gewinn […]. Es kann negativ, aber auch positiv bewertet werden“ (S. 31). Sicherheit ist dagegen ein Zustand, der an sich und deshalb auch absolut wünschenswert ist. Kann es sein, dass wir deshalb in der Technischen Dokumentation so oft versuchen, auch noch die abwegigsten Gefahren auszuschließen und dadurch manchmal in Versuchung geraten, den Nutzen des Produkts unter den Tisch fallen zu lassen?
Fazit
Was bleibt zu sagen? Das Buch ist sicher keine leichte Kost. Wer nicht gewohnt ist, sich mit geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung zu beschäftigen, wird sich wohl kaum dazu aufraffen. Wer diese Mühen aber auf sich nimmt, wird immer wieder durch inspirierende Einsichten belohnt. Gerade weil sich die Beiträge mit einem breiten Themenfeld beschäftigen. Und weil sie nicht auf direkte Umsetzbarkeit schielen.
Bedauert habe ich lediglich, dass das Buch keinen Index mitbringt. Denn so stehen die Aufsätze doch weitgehend unverbunden nebeneinander, Parallelen zwischen unterschiedlichen Themenfeldern erschließen sich deshalb nur mit Mühe.
Hinweis: Das hier besprochene Buch wurde uns vom Waxmann Verlag kostenfrei als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Der Verlag hat keinerlei Einfluss auf den Inhalt dieser Besprechung genommen.
Literatur: Knudsen, Karen Patrick u. a. (Hrsg.) [2012]: Narratives of Risk – Narrative des Risikos. Interdisciplinary Studies – Interdisziplinäre Beiträge. Waxmann Verlag, Münster u. a. ISBN 978-3-8309-2903-4
Es lohnt sich durchaus sich in das Thema einzuarbeiten, weil das Buch sehr inspirierend ist. Ich habe es von einem Bekannten geschenkt bekommen, der keine Lust hatte sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – leider. Dafür diene ich ihm nun als Tutor 🙂
Danke für die Rezension. Schön, dass jemand meine Meinung teilt!