Ende Februar haben Kyra Edeker und Jan Moorman im UXMagazin einen Beitrag gepostet, den ich aus zwei Gründen interessant finde. Die Autorinnen beleuchten in knapper Form die mittlerweile 30-jährige Geschichte der Personas. Zum anderen setzen sie sich im Detail mit der zunehmenden Kritik zu Personas auseinander, die in der UX-Gemeinde in letzter Zeit laut wird. Was bedeutet die Kritik für die Zielgruppenarbeit in der Technischen Redaktion?
Problem-Personas
Edeker und Moorman identifizieren drei typische Probleme bei der Erstellung von Personas:
- Halbgare Personas
Erstellen die Beteiligten ihre Personas mit zu wenig systematischen Untersuchungen, dann entstehen Personas, die nur scheinbar das Bedürfnis der Benutzer nach einem Arbeitswerkzeug erfüllen. Die Usability-Experten erhalten zwar eine Persona, durch eine unzureichende Faktengrundlage verleitet sie aber zu Fehlentscheidungen. „A little knowledge is a dangerous thing“, wie Alexander Pope schon im 19. Jahrhundert wusste. - Leere Personas
Noch schlimmer sind leere Personas, die ohne Faktengrundlage lediglich aus Marketing-Annahmen und Vermutungen der Projektbeteiligten gespeist werden. Solche Personas halten in der Realität nicht stand, gehen an den Bedürfnissen der Entwickler vorbei und destabilisieren langfristig das Vertrauen in die Persona-Technik insgesamt. - Überdefinierte Personas
Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Fällen liegt hier das Problem in zu viel Information mit zu wenig Relevanz für die Entwickler. Edeker und Moorman verdeutlichen das am Beispiel einer Software für Support-Hotlines. Für die Persona ist letzten Endes nicht entscheidend, ob sie verheiratet ist oder nicht. Stattdessen muss die Persona aber herausarbeiten, dass es unterschiedliche Typen von Support-Mitarbeitern gibt: Unerfahrene, die lediglich möglichst viele Tickets abarbeiten und erfahrene, denen die Zahl der abgearbeiteten Tickets weniger wichtig ist und die sich auf eine gute Supportleistung konzentrieren.
Lösungen
Sollten wir angesichts dieser Probleme auf Personas verzichten? Die Autorinnen kommen zu einem eindeutigen Ergebnis:
Good personas that enable us to have extended role-play with our users serve a need that isn’t currently filled by anything else. If the design community throws personas in the trash, they’re back to square one: the standard old argument around the product team table based on everyone’s personal opinion. The user is lost in the equation.”
Es gibt also keine Alternative zu Personas. Aber es gibt Möglichkeiten, sie besser zu machen. Schlüsselfaktoren sind dabei:
- Solide Informationsbeschaffung und -auswertung
- Balance zwischen persönlichen Charakteristika (um die Persona realistischer zu machen) und den Einstellungen, Zielen, Erwartungen der Personas
- Anreicherung der Persona mit realen Fotos, Videos etc. aus der Benutzerbefragung
- Bewerben und Verbreiten der Personas im eigenen Unternehmen
… und die Technische Dokumentation?
Edeker und Moorman beziehen sich mit ihrem Post auf den Aspekt des Produkt- und User-Interface-Designs. In weiten Teilen gilt das aber gleichermaßen für die Technische Dokumentation (wie sich ja insgesamt viele Parallelen zwischen Dokumentation und Usability finden lassen).
Allerdings trifft uns das Problem der „leeren Personas“ fast noch schärfer, da das Produkt-Design den Käufer zumindest teilweise berücksichtigen muss und Marketingdaten dadurch zumindest eine geringe Relevanz haben. Technische Dokumentation hingegen richtet sich immer an den Benutzer – und dessen Bedürfnisse können sich von denen des Käufers stark unterscheiden.
Den Ratschlag, Personas auf einer aufwändigen Benutzeruntersuchung aufzubauen, ist wiederum für Technische Dokumentation berechtigt, aber letzten Endes unrealistisch. Denn wenn schon die Produktentwicklung nicht die Budgets dafür erhalten, sind die Chancen für die (oft als notwendiges Übel verstandene) Dokumentation noch wesentlich geringer.
Einen Ausweg bietet hier manchmal eine strategische Allianz mit dem Marketing und den Usability-Fachleuten. Was einer Abteilung als Budget nicht zugestanden wird, können drei Bereiche vielleicht gemeinsam verargumentieren. Wichtig ist für uns dann aber, dass die Recherchen sich auch auf die Benutzer erstrecken und nicht nur Kunden-Personas einbeziehen.
Alles in allem bleibt uns in der Technischen Dokumentation wohl nichts anderes übrig, als mit dem zu arbeiten, was wir haben. Das entspricht zwar ziemlich genau dem Problembild „halbgare Persona“. M. E: ist diese Lösung aber immer noch besser als komplett ohne Benutzerkonzept zu arbeiten. Umso wichtiger ist es, die Personas regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen und mit Benutzerdaten abzugleichen, soweit wir sie ermitteln können.
Prima Beitrag. Der deckt sich mit unseren Beobachtungen. Eine weitere (Teil-) Lösung für das beschriebene Problem ist eine fundierte Strukturierung von Personas.
Hallo Markus,
sehr interessantes Thema. Wir benutzen Personas sehr intensiv im Rahmen unserer Seminare. “Im Rahmen” heisst, dass wir das Persona-Konzept in eine Vorgehensweise eingebunden haben und somit der Nutzen und die Herkunft damit automatisch sehr klar werden. Die Persona hat somit einen sehr konkreten Sinn und Inhalt. Leere Personas kommen hier qua Prozess eigentlich nicht vor. Es sei denn es ist ein inhaltsloses Szenario. Aber ohne Inhalt kein Szenario und damit keine Persona. Als nächsten Schritt hat unsere Persona auch immer ein Ziel und eine Aufgabe. Mit dieser Einbettung hat unsere Persona immer einen sehr konkreten Hintergrund, aber ist dennoch so flexibel, dass das Konzept “Persona” ohne Probleme umgesetz werden kann.
Viele Grüße
Achim Schlaugies
Auch wir benutzen Personas in unseren Seminaren. Es ist immer wieder spannend, zu sehen, wie sich Probleme und Fragen, über denen die Teilnehmer oft schon seit langem brüten, plötzlich ganz einfach lösen lassen. Auf die Art konnten wir z. B. einmal ein Handbuch um die Hälfte des Umfangs kürzen. Die Teilnehmer hatten durch die Personas erkannt, dass die betroffenen Passagen eine Zielgruppe adressierten, für die dieses Handbuch ohnehin nicht gedacht war.
[…] Hier kann es bei der Erstellung von virtuellen Personen zu Fehlern kommen. In seinem Blogpost Personas – ein Segen und ein Fluch beschreibt Markus Niki drei typische […]
ich habe es noch nie verstanden. Nur weil eine fiktive Persona in sich und küchenpsychologisch stimmig ist, wird damit noch nicht die reale Ziel- und Bezugsgruppe abgebildet. Dies geht nur mit einer soziologischen Erhebung.
Hallo Andre,
ich sehe da eigentlich keinen Widerspruch. Jede Persona sollte auf der Basis vernünftiger Daten aufgebaut sein. Ob das soziologische Erhebung sein müssen, darüber kann man sicher diskutieren. WÜnschemswert wäre das sicher, in der Realität scheuen aber viele Unternehmen die Kosten udn den Aufwand für eine umfassende Erhebung. Oft reicht es als erster Schritt aber auch schon, wenn man das belastbare Wissen der verschiedenen Leute im Unternehmen zusammenträgt, die in regelmäßigem Kundenkontakt stehen.
Erst nach dieser Datenerhebung kommt eine Persona ins Spiel. Die Funktion der Persona ist, die gesammelten Daten erfahrbar, spürbar zu machen. Sie wird auf der Basis der belastbaren Informationen aufgebaut, über die ein Unternehmen verfügt. “Küchenpsychologisch stimmig” reicht da sicher nicht. Aber die (sziologischen) Daten allein reichen meiner Erfahrung nach auch nicht, weil es z. B. für einen Redakteur sehr schwierig ist für einen Datensatz zu schreiben. So gesehen ist dei Persona also die fiktionale Verdichtung eines Datensatzes, damit er für die Nutzer einfacher handhabbar wird.