Mitte September haben wir bei der Sektionstagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik unseren Nachwuchspreis für berufliche Kommunikation verliehen. Wir freuen uns, dass die Preisträgerin Dr. Heidi Seifert hier nun selber ihre Arbeit zum frühkindlichen Spracherwerb vorstellt. Wir gratulieren ihr noch einmal herzlich zum Preis und wünschen ihr weiterhin viel Erfolg bei ihren Forschungen!
Können oder sollen unterdreijährige Kinder schon Englisch lernen? Englisch? Nein, das lernen sie noch früh genug in der Schule. Im Kindergarten sollen Kinder spielen, erst einmal Deutsch lernen und nicht schon mit einer ersten Fremdsprache überfordert werden – so die Befürchtung mancher Eltern, Grundschullehrkräfte oder ErzieherInnen. Auf der anderen Seite aber wird oftmals euphorisch behauptet, Kleinkinder würden Fremdsprachen „wie von alleine“, „automatisch“ oder „nebenbei“ lernen.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Interesse an bilingualen vorschulischen Betreuungseinrichtungen steigt. So hat sich die Anzahl bilingualer Kitas in Deutschland von 2004 bis 2014 mehr als verdreifacht. Im Jahr 2014 gab es deutschlandweit schon 1035 Einrichtungen, in denen neben Deutsch noch eine weitere Sprache gesprochen wird.
In einer dieser Einrichtungen, dem deutsch-englisch bilingualen Kinderhaus an der TU Darmstadt, habe ich meine Videostudie durchgeführt. Im Zentrum meines Interesses stand dabei die Frage, wie die ErzieherInnen mit den ein- bis dreijährigen Kleinkinder sprachlich interagieren, d.h. welche besonderen Merkmale der kindgerichtete sprachliche Input und die Interaktionsstrategien der pädagogischen Fachkräfte aufweist.
In der bilingualen Krippeneinrichtung in Darmstadt wird das Spracherziehungskonzept der „Immersion“ praktiziert, was so viel bedeutet wie „Eintauchen in das Sprachbad der Fremdsprache“. Dabei wird die Fremdsprache handlungsbegleitend und als Kommunikationsmedium im Alltag eingesetzt und anders als im schulischen Fremdsprachenunterricht nicht explizit vermittelt. In bilingualen Einrichtungen wird diese Methode häufig nach dem Prinzip one person – one language umgesetzt, so dass deutschsprachige ErzieherInnen Deutsch mit den Kindern sprechen und englischsprachige ErzieherInnen ausschließlich auf Englisch mit den Kindern interagieren.
Die Auswertung der Videodaten – ein Korpus aus über 20 Stunden Videomaterial von authentischen ErzieherInnen-Kind-Interaktionen im bilingualen Krippen-Alltag – zeigte, dass sich die an das Kind gerichtete Sprache der englisch- und deutschsprachigen Fachkräfte durch verschiedene Merkmale auszeichnet. Dazu gehören beispielsweise verschiedene gesprächsevozierende Handlungen. Damit sind vor allem verschiedene Fragetechniken gemeint, mit denen Fachkräfte versuchen, mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Auf kindliche Sprechversuche reagieren ErzieherInnen wiederrum mit Feedbackstrategien, indem sie kindliche Gesprächsbeiträge aufgreifen und diese z.B. wiederholen und weiterführen. Zudem konnte ich feststellen, dass die Sprache von ErzieherInnen in bilingualen Krippen in hohem Maße nonverbal kontextualisiert wird. Das bedeutet, dass die Fachkräfte ihre Sprache mit verschiedenen Gesten begleiten, um dem Kind nonverbal zu verdeutlichen, was sie auf Englisch gesagt haben.
Eine weitere wichtige Erkenntnis meiner Studie ist, dass das gemeinsame Bilderbuchanschauen und Geschichtenerzählen (so genannte Literacy-Aktivitäten) wichtige Bestandteile der ErzieherIn-Kind-Interaktion ausmachen und sehr bedeutsam für das frühe Fremdsprachenlernen sind. Zudem lassen sich aus den Ergebnissen meiner Studie wichtige bildungspolitische Implikationen ableiten: So wird aufgezeigt, dass frühes Fremdsprachenlernen in Krippen insbesondere davon abhängig ist, in welchem Ausmaß bedeutungsvolle Interaktionen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kleinkindern in möglichst kleinen Gruppen stattfinden. Ein guter Betreuungsschlüssel ist daher für die Umsetzung der Immersionsmethode meines Erachtens von großer Bedeutung.
Frühes Fremdsprachenlernen stellt sich daher weder „automatisch“ und „von selbst“ ein noch ist es eine unzumutbare Überforderung für Kleinkinder. Der Erfolg bilingualer Angebote im Elementarbereich ist abhängig von den individuellen Kommunikations- und Interaktionsstrategien der einzelnen ErzieherInnen, mit denen die Kinder im täglichen Kontakt sind und zudem an bestimmte Rahmenbedingungen wie einen guten Betreuungsschlüssel und die Kontaktzeiten geknüpft. In Anbetracht der Bedeutung sprachlich qualifizierten Betreuungspersonals gilt es künftig, die Funktion der Fachkräfte als Sprachvorbilder und Sprachlernbegleiter zu stärken und durch Qualifizierungsmaßnahmen weiter zu fördern.
Es freut mich, dass mit dem Nachwuchspreis „Berufliche Kommunikation“ eine Arbeit gewürdigt wurde, die erstmalig bilinguale Krippeneinrichtungen für unterdreijährige Kinder als Lernort in den wissenschaftlichen Fokus rückt und die tragende Rolle von ErzieherInnen für die frühe sprachliche Bildung aufzeigt.
Die Ergebnisse der Studie können in folgender Publikation nachgelesen werden:
Seifert, Heidi (2016): Früher Fremdsprachenerwerb im Elementarbereich. Eine empirische Videostudie zu Erzieherin-Kind-Interaktionen in einer deutsch-englischen Krippeneinrichtung. Gießener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik. Tübingen: Narr.
Zur Autorin
Dr. Heidi Seifert ist Gewinnerin des diesjährigen doctima-Preises für berufliche Kommunikation. Nach ihrem Studium des Gymnasiallehramts für Französisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache und Lehraufenthalten u.a. in Argentinien und Frankreich war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Darmstadt am Fachgebiet Sprachwissenschaft – Mehrsprachigkeit tätig.
Dort forschte und lehrte sie im Bereich der frühkindlichen Mehrsprachigkeit und wurde mit ihrer Arbeit „Früher Fremdsprachenerwerb im Elementarbereich: Eine empirische Videostudie zu Erzieherin-Kind-Interaktionen in einer deutsch-englischen Krippeneinrichtung“ (Betreuung Frau Prof. Dr. Britta Hufeisen) promoviert.
Derzeit ist sie an der Leibniz Universität Hannover im Bereich der Studienvorbereitung internationaler Studierender tätig und ist Fachleiterin für Deutsch als Fremdsprache am Niedersächsischen Studienkolleg.