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Seit gut zehn Jahren bin ich in Unternehmen unterwegs, um mit Entwicklungsabteilungen einen für die Ingenieure oft lästigen Dokumenttyp auf Vordermann zu bringen: Lasten- und Pflichtenhefte. Egal wohin ich komme, hegen meine Kunden eine ganz bestimmte Hoffnung. Eine Hoffnung, die sich in zwei Fragen ausdrückt:
Frage 1: Gibt es Normen, die man unbedingt beachten muss, um ein wirklich sauberes (und damit vollständiges und möglichst rechtssicheres) Lastenheft oder Pflichtenheft zu erstellen?
Und Frage 2: Gibt es nicht allgemeingültige Dokumentvorlagen mit allen benötigten Inhalten – am besten downloadbar aus dem Web? Und dann ist alles gut?
Unerfüllbare Hoffnungen
Diese Hoffnung muss ich regelmäßig enttäuschen. Leider – könnte man erst einmal meinen.
Natürlich gibt es Normen, die Lasten- und Pflichtenhefte thematisieren, zum Beispiel die DIN 69901. Aber diese Normen helfen bei den Fragen, die die Unternehmen umtreiben, nicht wirklich weiter. Normen kann man vor allem Definitionen entnehmen, was ein Lasten- oder Pflichtenheft ist, was als Gliederung eventuell sinnvoll ist und wie man diese Dokumente in Entwicklungsprozessen am besten einsetzt. Gewonnen ist damit nicht viel.
Dasselbe gilt für downloadbare Vorlagen: Sie können einem einen ersten Eindruck geben, was vielleicht wichtig ist. Aber eine Dokumentvorlage und vor allem die darin enthalten Inhaltspunkte entspringen immer einem bestimmten Kontext und treffen nie passgenau zu. Oder sie sind so allgemein gehalten, dass sie im Grunde nichts aussagen.
Die gute Nachricht – Freiraum für passgenaue Dokumentkonzepte
Mit „Kontext“ ist das relevante Stichwort schon gefallen. Jedes Unternehmen arbeitet (egal ob Auftragnehmer oder Auftraggeber, egal ob Lastenheft oder Pflichtenheft) unter anderen Rahmenbedingungen. Produkte unterscheiden sich technologisch grundlegend, die Vertragspartner sind unterschiedliche, interne Dokumente benötigen andere Inhalte als Dokumente, die über Unternehmensgrenzen ausgetauscht werden. Abhängig davon, wer die Designverantwortung trägt, entwickeln Lasten- und Pflichtenhefte erst ihre eigentliche Gestalt.
Eine Lösung von der Stange – das zeigt mir die Praxis immer wieder ganz deutlich – kann es eigentlich nicht geben.
Genau hier aber liegt die große Chance für die Unternehmen. Und das ist die Botschaft, die die Miene meiner Kunden ganz schnell wieder aufhellt. Weil der Kontext hochgradig individuell ist, besteht große Freiheit in der Gestaltung von Lastenheften und Pflichtenheften. Ganz sicher keine Beliebigkeit, aber ein Freiraum, in dem man eine unternehmensspezifisches Dokumentenkonzept entwickeln kann. Ein Konzept, das dann wirklich funktionierende Dokumente ermöglicht.
Was so ein spezifisches Dokumentenkonzept ganz konkret ausmacht, möchte ich hier noch an drei Beispielen zeigen:
Beispiel 1: Es muss nicht immer viel sein
Dieses Konzept ist vor gut zwei Jahren in München entstanden. Ein Unternehmen der Schwerindustrie liefert als Auftragnehmer eine Presseinrichtung für eine große Stahlverarbeitungsanlage. Das spezifizierte Produkt ist für meine Vorstellungen riesengroß, das Pflichtenheft dazu ist aber maximal schlank geworden. Es ist wenige Seiten lang und macht zusammen mit dem Maschinenplan trotzdem eine vollumfängliche Leistungszusage an den Auftraggeber.
Der Kunde hat sehr aufgeatmet: Dass ein Projekt mit Pflichtenheft die Dokumentationsaufwände der Ingenieure, die ja sowieso schon unter hohem Zeitdruck arbeiten, vervielfachen würde – diese Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet.
Beispiel 2: Ein Dokument, das skaliert
Ein Unternehmen für Fenster- und Fassadentechnologie definiert seinen Entwicklungsprozess für Innovationsprojekte neu. Damit die Entwicklung koordiniert abläuft, soll der Vertrieb als unternehmensinterner Auftraggeber ein Lastenheft schreiben. Das Problem an der bisherigen Praxis: Das Lastenheft des Vertriebs ist der Entwicklung zu unspezifisch, der Vertrieb möchte aber nichts vorgeben und spezifizieren, worüber er noch keine Aussagen machen kann. Eine klassische Patt-Situation.
Als Lösung haben wir ein Lastenheft konzipiert, das mitwachsen kann. In seiner ersten Fassung (das „Lastenheft light“) formuliert der Vertrieb die Produktidee und die zentralen Leistungsmerkmale des neu zu entwickelnden Produkts. Dieser Stand dient der internen Abstimmung. Erst wenn klar ist, ob sich dieses Produktkonzept technologisch und wirtschaftlich umsetzen lässt (und in diesem Bewertungs- und Aushandlungsprozess sitzt die Entwicklung mit am Tisch), wird ein „richtiges“ und umfassendes Lastenheft erstellt, das für die Entwicklungsabteilung die Vorgaben in relevanter Breite und Tiefe niederlegt.
Dass dieses Konzept aufgeht, ist konzeptionell vor allem der Gliederung der neuen Lastenheftvorlage zu verdanken. Sie kann angelehnt an den Fortschritt im Entwicklungsprozess von vorne nach hinten wachsen. Es ist als Lastenheft-Standard eine ganz individuelle Lösung entstanden, die sich durch ein hohes Maß an Flexibilität und Skalierbarkeit auszeichnet.
Beispiel 3: Antworten auf 1500 Anforderungen
Ein letztes Beispiel: Ein Automobilzulieferer bekommt von seinen Auftraggebern in schöner Regelmäßigkeit Lastenhefte vorgelegt, die 300 Seiten und länger sind. Um noch einmal eine Zahl zu nennen: Wir reden von 1200 bis 1500 Anforderungen.
Wie kann nun ein Pflichtenheft bzw. die Leistungszusage in so einem Szenario aussehen? Und zwar, ohne dass als Pflichtenheft ein noch längeres Monsterdokument entsteht, das unsinnige Aufwände erzeugt? Denn immerhin sagt die reine Lehre – und auch die Auftraggeber aus dem Automobilsektor fordern es: Ein Pflichtenheft muss Antwort geben auf alle Anforderungen des Auftraggebers.
In diesem Fall entwickeln wir eine Lösung aus zwei Dokumenten: Die Detailantworten stehen in einer Excel-Liste, die eine maximal kurze Antwort auf wirklich jede Anforderung gibt. Dazu kommt aber – und das war hier das Aha-Erlebnis – ein Rahmendokument, in dem der Auftragnehmer noch einmal losgelöst von dem Detaildokument seine Lösung und seine Leistungsfähigkeit konzentriert darstellt. Das zudem Punkte hervorhebt und anbringt, die ihm aus seiner Rolle heraus wichtig sind – und nicht nur solche, die der Auftraggeber aktiv nachfragt. Und das zu guter Letzt sogar – auch das ein Novum – den Auftraggeber in die Pflicht nimmt.
Seit diesem Jahr gehen alle „Antworten“ dieses Kunden auf diese Weise zurück an seine Auftraggeber.
Fazit
Die konzeptionelle Anlage eines Lasten- oder Pflichtenheftes halte ich im Rückblick auf bestimmt 60 Beratungs-Einsätze als den wesentlichen Schlüssel zum Erfolg. Und das Schöne ist, dass man die Konzepte so auslegen kann, dass daraus ein wirklicher Standard entsteht – also Vorlagen und Definitionen, die für ganze Klassen von Projekten tragen und nicht nur für einen Einzelfall.
Sollten Ihnen diese Sorte Spezifikationsdokumente auch im Magen liegen: Gerne unterstützen wir Sie bei der Erstellung!
Mit meinem ersten Pflichtenheft habe ich mich extrem schwer getan. Ich hatte keinen anfang und wußte icht, wo ich anfangen sollte mit der Darstellung. Zum Glück gibt es im Netz einige Vorlagen, die ich dann auch genutz habe. Als ich mein erstes PH fertig hatte , hatte ich auch den ganzen Sinn von diesem verstanden.
Viele Güße
Man muss einmal “richtig durch die Materie”, das kann ich nur bestätigen. Wenn das mithilfe einer frei verfügbaren Vorlage klappt, ist das ein Glücksfall. Unsere Kunden verzweifeln regelmäßig an solchen Vorlagen, weil die vorgegebene Struktur und Aufbereitungsform der Komplexität der Materie und der jeweiligen Projektsituation nicht gewachsen ist. Deswegen gehen wir dann gemeinsam “durch”.