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Warn out – Dietrich Juhl gibt sinnvolle Warnhinweise
Neulich fand ich ein kleines Büchlein in meinem Postfach: „Warn Out. Konzept für sinnvolle Sicherheits- und Warnhinweise“. Darauf ein Zettel mit der Bitte, ob ich mir das mal anschauen könnte… „Oh nein, nicht schon wieder Warnhinweise…“, war – ich gebe es zu – meine erste Reaktion. Denn mir geht es nicht anders als vielen Technischen Redakteuren: Man liest viel, aber in der Praxis hilft das nicht unbedingt weiter. In diesem Fall kann ich aber sagen: Das Büchlein lohnt sich!
Viel warnen + auffällig warnen = rechtssichere Anleitung?
Juhl reagiert auf die allgemeine Verunsicherung der Technischen Redakteur:innen, die unter dem ziemlich starken Druck stehen „rechtssichere Anleitungen“ – wie es so schön heißt – zu schreiben. Die Art und Weise, wie Normen klassischerweise umgesetzt werden, führt aber teilweise am eigentlichen Ziel vorbei. So wird nach dem Prinzip „lieber zu viel als zu wenig, denn sicher ist sicher“ ausgiebig gewarnt, was das Zeug hält, auch wenn es teilweise unnötig oder gar absurd ist. Hinzu kommt, dass die Warnhinweise standardmäßig in auffälligen Kästen gestaltet sind.
Beide Aspekte haben so ihre Tücken. Wird vor jeder auch kleinsten Gefahr gewarnt (man weiß ja nie, auf welche Idee Menschen so kommen könnten…), dann werden Lesende unter Umständen vom Wesentlichen abgelenkt und nehmen womöglich ernste Gefahren nicht mehr als solche wahr. Fühlt man sich als Redakteur verpflichtet, auf jede Gefahr hinzuweisen, kann man auch wunderbar an seiner Zielgruppe vorbeischreiben. Hinzu kommt die Gestaltung der Hinweise in auffälligen Kästen hinzu – die sind Juhl ein richtiger Dorn im Auge. Sie stören nicht nur den Lesefluss, sondern werden sogar immer wieder von Lesern einfach übersprungen.
Die Gleichung viel warnen + auffällig warnen = rechtssichere Anleitung geht also nicht auf. Was nun?
Grundidee: Richtig anleiten statt warnen
Juhls Konzept ist im Grunde ganz simpel und basiert auf zwei Hauptprinzipien:
- Richtig anleiten
- Sinnvoll warnen (aber nur dort, wo notwendig)
„Richtig anleiten“ bedeutet, dass Anleitungen nicht nur verständlich geschrieben, sondern auch didaktisch sinnvoll aufgebaut sein sollen. Hier bietet Juhl ein konkretes Modell („Handlungsanweisung mit Eskalation“), das sich in der Praxis eigentlich ganz gut umsetzen lässt:
- Anleiten
- Anleiten mit Bild
- Präzisierung, falls die Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Anwender die Anleitung ungenau ausführt
- Betonung der richtigen Handlungsweise
- Verbot naheliegender Fehlhandlungen
- Benennung von Art und Quelle der Gefahr
- Warnung, was bei Nichtbeachtung passiert
6. und 7. werden dann – wenn nötig – durch ein entsprechendes Warnzeichen und Signalwort ergänzt.
Warnungen sollen also möglichst im Handlungsschritt integriert sein. Juhl geht noch weiter und stellt klar, was alles NICHT in der DIN EN 82079-1 steht. Demnach:
- müssen Warnhinweise nicht gemäß SAFE strukturiert sein.
- müssen Warnhinweis nicht als auffälliger Kasten formatiert werden.
- müssen Warnhinweise nicht unbedingt vor dem betroffenen Handlungsschritt stehen.
- muss das Kapitel Sicherheit nicht vorwiegend Warnhinweise enthalten und die
Informationen müssen nicht durch Warnsymbole hervorgehoben werden.
Neugierig geworden?
Neben dem eigentlichen Kern seiner These behandelt Juhl alle wichtigen Aspekte, die zu einer sicheren Anleitung beitragen. Auch die Zielgruppenanalyse als Ausgangspunkt aller Überlegungen kommt hier nicht zu kurz. Vieles hat man als Technischer Redakteur schon irgendwie einmal gehört oder gelesen, aber Juhl geht es nicht darum, die einzelnen Aspekte in aller Ausführlichkeit und wissenschaftlich zu behandeln, sondern um deren Zusammenspiel zu zeigen. Und das gelingt dem Autor.
Aus rein didaktischen Gründen ist die Integration der Warnhinweise in den Textfluss grundsätzlich sicherlich eine sinnvolle Empfehlung. Der Leser profitiert in vielerlei Hinsicht. Der Lesefluss wird nicht unterbrochen, und vor allem: Der Inhalt der Warnhinweise wird als Bestandteil eines Handlungsschrittes wahrgenommen und verinnerlicht, was aus meiner Sicht in vielen Fällen mehr zum sichereren Umgang mit dem Produkt beiträgt als ein „aus dem Text ausgelagerter“ Warnhinweis. Aus Hersteller-Sicht ist es aber so, dass meistens doch die Textkürze und die Standardisierung im Vordergrund stehen, weshalb die Umsetzung von Juhls Konzept doch recht aufwändig werden könnte.
Und was die Gestaltung der Hinweise in Kästen und auch deren Aufbau betrifft, ist man doch überrascht, dass Juhl sich lediglich auf die DIN EN 82079-1 bezieht und die ANSI Z.535.6 völlig ausklammert. Denn einerseits ist es zwar sinnvoll, die Warnhinweise zu integrieren, aber demgegenüber steht in der Technischen Dokumentation das Bedürfnis nach Einheitlichkeit und Normung – auch im Hinblick auf Mehrsprachigkeit.
Ein wichtiges Anliegen von Juhl ist, dass Technische Redakteure selbstbewusst ihren didaktischen Kompetenzen trauen und sich darauf verlassen, dass am Ende eine rechtssichere Anleitung rauskommt. Diese Forderung nach Selbstvertrauen hinsichtlich der Schreibkompetenzen finde ich grundsätzlich richtig, denn blindes, Angst-gesteuertes Schreiben macht keinen Spaß und wird ganz sicher der Zielgruppe nicht gerecht. Dennoch: Wo rechtliche Konsequenzen im Spiel sind, wird sicherlich nicht jeder es wagen, sich ganz von den gängigen Verfahren zu distanzieren, auch wenn diese auf einer nicht ganz richtigen Auslegung der Normvorgaben beruhen.
Mein Fazit
Ich finde, dass jeder technische Redakteur und natürlich auch die Redakteurin das Buch gelesen haben muss. Denn es eröffnet neue Perspektiven und regt zum Nachdenken über das eigene Schreiben an, unabhängig davon, ob man den harten Kern seiner Thesen bejaht oder nicht. Das Zusammenspiel von
- sicheren Anleitungen
- Kapitel Sicherheit
- Warnhinweise
wird verständlich beleuchtet. Juhl gibt auch klare Hinweise für die konkrete Umsetzung seines Konzeptes. Man darf sich nur nicht vom emphatischen Ton und von der etwas eigenwilligen Seitengestaltung stören lassen.
Und mal ehrlich … Kompetenz hin oder her: Wenn man sich so manche Anleitung zu Gemüte führt, ist man doch schon froh, wenn es Warnhinweise überhaupt gibt …
Literatur: Juhl, Dietrich [2015]: Warn out. Konzept für sinnvolle Sicherheits- und Warnhinweise. Juhl-Verlag, 68 Seiten.
Hinweis: Das hier besprochene Buch wurde uns vom Autor kostenfrei als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Der Autor hat keinerlei Einfluss auf den Inhalt dieser Besprechung genommen.