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Zielgruppen – zu viel Aufwand?
In meinen Projekten stellt sich immer wieder die Frage, wie sich Prozesse bei der Dokumentationserstellung verbessern lassen. Antworten darauf gibt s viele: andere Tools, Modularisierung, Qualitätskriterien einführen und, und, und. Was mir in solchen Diskussionen immer wieder auffällt: Technische Redakteure wissen oft erstaunlich wenig über ihre Zielgruppen. Ehrlich jetzt: Die Frage „Für wen schreiben Sie denn?“ ist mit „Unternehmen ab 500 Mio. Euro Umsatz im Jahr“ nicht ausreichend beantwortet (Wer kann schon für ein Unternehmen in einem bestimmten Umsatzrahmen schreiben?).
Ja, ich weiß schon, für eine genauere Zielgruppenanalyse ist halt keine Zeit. Das Argument erinnert mich immer ein wenig an den Holzfäller, der seine stumpfe Axt nicht schleifen kann. Weil: Er muss ja holzhacken. Natürlich macht Zielgruppenanalyse Arbeit. Vor allem aber spart sie Arbeit. Ich habe zum Beispiel in einem Projekt einmal erlebt, dass durch eine schlüssige Zielgruppendefinition die bestehenden Anleitungen um 50 Prozent entschlackt werden konnten. Und die Kunden dann später auch noch lobten, dass sie endlich die Information bekommen, die sie brauchen. Wenn das keine Arbeitsersparnis ist …
Zielgruppen kennenlernen
Wie kommt man nun zu einer vernünftigen Zielgruppendefinition? Denn bei aller später eingesparten Zeit braucht man doch auch jetzt die Ressourcen, um die Aufgabe anzugehen. Ein paar einfache Schritte haben sich hier bewährt:
- Zielgruppenwissen dokumentieren
Oft ist ja doch einiges an Know-how über die eigenen Anwender vorhanden. Nur eben unsystematisch und nicht abrufbar. Eine Mindmap, in der man zunächst einmal das Bestandswissen erfasst, bietet gleichzeitig eine Moderationshilfe und eine zentrale Dokumentation. Später, wenn man die Zeit dazu findet (vielleicht weil der Dokumentationsaufwand gesunken ist) kann man das so gesammelte Wissen in andere, besser lesbare Formate bringen (z. B. in ein Handbuch oder ins Intranet). Eine schlanke Alternative zu der Mindmap-Lösung kann ein Wiki sein, wenn die Arbeit mit Wikis in der Redaktion bereits etabliert ist (ansonsten nehmen Tool-Diskussionen zu viel Raum ein). - Zielgruppenwissen recherchieren
Auch wenn man selbst vielleicht noch nicht so viel über seine Zielgruppen weiß, kann es andere Abteilungen im Unternehmen geben, die hier eine bessere Datenlage haben. Den meisten Redakteuren fällt beim Stichwort „Zielgruppen“ zunächst das Marketing ein. Das ist auch nicht verkehrt, birgt aber ein kleinen Fallstrick. Marketing-Zielgruppen sind Kunden, nicht Anwender. Das kann im Einzelfall einen deutlichen Unterschied ausmachen.
Ein anderer guter Ansprechpartner für bessere Zielgruppenkenntnis sind die Leute aus dem Trainingsbereich, dem telefonischen oder dem technischen Support. Anhand der Fragen, mit denen sie sich täglich auseinandersetzen müssen, lässt sich ein besserer Eindruck davon gewinnen, was die Anwender so bewegt (oder stört). - Zielgruppenwissen generieren
Ideal ist es natürlich, wenn man die Zielgruppe selbst befragen kann. Nicht jedes Unternehmen hat aber einen User’s Day, auf dem man unaufwändig mit den Anwendern in Kontakt kommt. Alternativen sind hier Aktionen auf den Social Media-Plattformen des Unternehmens oder „Rücklaufzettel“ mit einem kurzen Fragebogen in der Anleitung.
Personas – Zielgruppen erlebbar machen
Es gibt also ganz unterschiedliche Möglichkeiten, an durchaus umfangreiches Zielgruppenwissen zu kommen.
Aber: Auch für „weibliche Benutzer zwischen 35 und 45 mit mittlerem Haushaltseinkommen und Interesse an Reisen“ lässt sich nur schwer schreiben. Denn die Fülle der Detailinformationen macht es schwer, sich ein Bild von der Zielgruppe zu machen.
Ich verwende deshalb gerne Personas, um meinen Schreibprozess zu fokussieren. Personas sind Platzhalter für unsere Zielgruppen, sie stehen als Stereotyp für die ganze große Anwenderschar. Wichtig ist dabei, die Persona möglichst anschaulich zu beschreiben. Zu einer guten Persona gehören deshalb ein Name, Beruf, Hobbys, Einstellungen – oft auch ein Bild. Aus den dürren Daten oben könnte dann folgende (kurze) Persona entstehen: „Sabine Meier ist 38 Jahre alt, Bürokauffrau, verheiratet mit Bernd und hat zwei Kinder, Jan (8) und Lara (5). Sie wohnt seit vier Jahren in einem Reihenhaus am Rand der Stadt. Die Raten für ihr Haus lassen ihr leider weniger Spielraum für Reisen als sie gerne hätte. Dennoch fährt sie zweimal im Jahr ins europäische Ausland in Urlaub.“
Wichtig ist, dass die Persona möglichst lebendig, quasi erlebbar wird. Gleichzeitig darf sie aber nicht zu individuell sein, da sie sonst nicht mehr als Stellvertreter für die Zielgruppe funktioniert. Wenn eine Persona allerdings funktioniert, ist der Effekt erstaunlich. Als ich das erste Mal eine Persona beim Schreiben benutzte, war der Unterschied für mich ganz bemerkenswert: Während ich mich zuvor hauptsächlich mit den Inhalten beschäftigt habe, stand für mich plötzlich der Leser im Vordergrund meiner Überlegungen. Und das Schreiben wurde plötzlich sehr viel leichter.
Vielleicht motiviert es ja, wenn man weiß, dass man für unterschiedliche Zielgruppen auch unterschiedliche Preise nehmen kann. Nicht jede Zielgruppe braucht das ganze Paket mit Leistungen.
Ich fürchte die meisten Technischen Redakteure sind nur über Kostensenkung motiviert. Die Dokumentation wird ja oft genug nicht bepreist, sondern halt so mitgeliefert.
[…] sehr hilfreich. Wie eine Persona entwickelt wird, hat Markus Nickl sehr gut in seinem Blog doctima […]