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Schon seit einiger Zeit liegt auf meinem Schreibtisch dieser Brief vom (ehemaligen) Autohersteller meines Vertrauens. Ich habe zwar lange mit mir gerungen, aber letzten Endes habe ich mich entschlossen, jetzt doch einen Post dazu zu schreiben. Erstens weil ich mich wirklich geärgert habe. Und zweitens ist mir aufgefallen, wie gut das Anschreiben in unsere kleine Reihe „Strategische Unverständlichkeit“ passt. Deshalb will ich mir dieses Machwerk heute noch mal im Detail vornehmen.
Der Betreff – ein Monstrum
Sehen wir uns einmal den Einstieg in den Brief an. Der Betreff – das sagen wir unseren Kunden auch in unseren Seminaren immer wieder – ist ein besonders wichtiger Teil des Briefes. Er setzt das Thema und den Ton für den restlichen Brief. Und das stimmt (leider) auch hier:
- Länge
Mit vier Zeilen ist der Betreff extrem lang, gleichzeitig strotzt er von Abkürzungen, Kennziffern und allem, was man tut, um nicht gelesen zu werden (1. Regel des Wissenschaftsjournalismus: Keine Formeln!) - Aussagekraft
Der Betreff eröffnet mit dem schönen Wort „Dieselthematik“. Mal abgesehen davon, dass diese Thematik beim Leser vielleicht noch gar nicht gesetzt ist: Es geht hier überhaupt nicht um Diesel, sondern um eine missbräuchliche Software. Frau Labbé und Herr Balon versuchen also auf ein anderes, weniger problematisches Thema auszuweichen. - Missverständlichkeit
Ähnlich problematisch, aber noch ein Stück weiter geht es, wenn man hier von einer „Servicemaßnahme“ spricht – ein Wort, das positiv besetzt ist, während es darum geht, eine missbräuchliche Manipulation des Wagens zu beseitigen. Und übrigens geht es hier auch nicht um „Abweichungen“. Die Software liefert ja die Werte, die mir beim Kauf zugesichert wurden. Sondern es geht darum, dass die realen Werte durch Software verschleiert werden. - Fachbegriffe
Wissen Sie, was ein „NOx“ ist? Vermutlich ja, denn Sie haben im Chemie-Unterricht gut aufgepasst. Ich bin mir aber nicht sicher, wie viele Skoda-Kunden ähnlich fleißig waren. Zufall? Kommunikative Inkompetenz? Könnte sein; im Kontext der anderen problematischen Textstellen aber eher unwahrscheinlich.
Der restliche Brief – es wird nicht besser
Wie schon gesagt, der Betreff setzt den Ton und der Brief hält ihn durch. Immer wieder wird verschleiert und kleingeredet. Da werden „die Stickoxidwerte (NOx) […] optimiert“. Wie schön, ich mag optimierte Dinge. Da gibt es eine seltsame Häufung von behördensprachlichen Elementen, z. B.:
- „diesbezüglich“,
- „aufgefordert, umgehend einen Termin […] zu vereinbaren“,
- „eine gegebenenfalls bevorstehende Hauptuntersuchung“
- usw.
Und dann finden sich da aber auch wieder seltsam unpassende, direkte Appelle an die Gefühle des Lesers: „Wir bedauern zutiefst, dass wir Ihr Vertrauen enttäuscht haben“ und „Ihr Vertrauen ist unser wichtigstes Gut.“
Spannend auch, wie der Brief nach dem überlangen Betreff gleich noch einen überlangen Satz hinterherschickt. Wie Skoda zwar meine Fahrgestellnummer kennt, mir aber nicht sagen kann, welches Aggregat in meinem Fahrzeug verbaut ist und wann ich vermutlich dran bin. Und wie Skoda mir verspricht, alle technischen Kosten zu ersetzen (wäre ja auch noch schöner), aber kein Wort des Bedauerns verliert über den Aufwand, der mir entsteht.
Was können wir daraus lernen?
Tatsächlich kann man aus diesem Brief eine Menge lernen. Dieser Brief ist wirklich so klasse, dass man ihn zur Pflichtlektüre im Deutschunterricht machen sollte. Denn Schüler sollten frühzeitig lernen, solche manipulativen Texte zu erkennen.
Noch viel mehr lässt sich daraus aber über Volkswagen und Skoda lernen. Wir erinnern uns: Das technische Problem besteht nicht darin, dass Messwerte „optimiert“ wurden, sondern dass mit dieser Software gelogen und betrogen wurde. Und die Entwickler davon ausgegangen sind, dass das schon niemandem auffallen wird.
Und nun dies: Ein Brief, um die Kunden zu informieren, in dem – na ja wir haben ja gesehen, was dieser Brief tut. Und offensichtlich glaubt man, die Kunden werden darauf hereinfallen. Das lässt schon tiefe Einblicke in die Unternehmenskultur bei Volkswagen zu.
Was kann Frau Labbé lernen?
Liebe Frau Labbé – und hier wende ich mich direkt an Sie – Vertrauen ist nichts, was man einfach so besitzt. Es ist nicht Ihr wichtigstes Gut, denn Sie haben mein Vertrauen im Moment gar nicht (mehr), und es ist vermessen, mir das zu unterstellen. Vertrauen ist etwas, das man sich erwirbt. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Und wenn man Vertrauen enttäuscht hat, dann sollte man sich offen und ehrlich entschuldigen. Wenn man bei der Entschuldigung aber trickst und manipuliert, dann verliert man auch noch die Chance, dass der andere verzeiht. Das gilt in Geschäftsbeziehungen genauso wie im Privaten.
Die gute Nachricht an Sie ist: Vertrauen verdient man sich immer aufs Neue. Ich bin schon gespannt auf Ihren nächsten Brief, in dem Sie mich „weiterhin fortlaufend und transparent informieren“. Denn aus der Nummer kommen wir offensichtlich beide nicht so schnell raus.
Lieber Markus,
herzlichen Dank für diesen großartigen Rant und dafür, dass du uns an diesem “Epic Fail” in der Kundenkommunikation von Skoda teilhaben lässt. Neben deiner sprachlichen Analyse wäre eine Analyse hinsichtlich Absicht und Wirkung des Textes toll.
Deine Einverständnis vorausgesetzt, würde ich das gerne mithilfe des 4-Ohren-Modells von Schulz von Thun beim tekom-OpenLab im Vorfeld der tekom-Frühjahrstagung einmal durchexerzieren. Ui, das wird ein Spaß! 🙂
Lesegefährliche Grüße
Martin Häberle
Hallo Martin,
das finde ich eine gute Idee; leider sind wir nicht beim tekom OpenLab und auf die Art sind wir dann doch ein bisschen mit dabei 🙂
Und vielleicht schreibst du danach ja auch was dazu?