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Kennzahlen – im Management-Sprech auch gerne „KPI“ (Key Performance Indicators) genannt – sind eine feine Sache. Sie helfen sich im Wirrwarr der täglichen Aufgaben zurechtzufinden, Prozesse zu steuern, die eignen Erfolge bekannter zu machen und zu vielem mehr.
Dazu haben wir hier in unserem Blog und in Partner-Blogs schon mehrfach geschrieben (z. B. „Welche Kennzahlen zur Digitalisierung braucht die Technische Redaktion?“ oder „7 Gründe warum Ihre Dokumentation Kennzahlen braucht“ im Congree-Blog). Auch Michael Schaffner hat uns als Gastautor ausführlich in die Welt der Kennzahlen eingeweiht („Kennzahlen – die unbekannten Wesen“).
Heute will ich aber einmal zeigen, was bei Kennzahlen so alles schiefgehen kann und wie man Kennzahlen-Fails verhindert. Denn schlimmer als keine Kennzahl ist eine Kennzahl, die Fehler verursacht.
Fail 1: Unklare Angaben machen
Nehmen wir einmal an, Sie möchten die Leistung ihres Redaktionsteams herausfinden. Eine Möglichkeit wäre es, den Dokument-Output zu erfassen und einfach die Zahl der produzierten Seiten pro Monat festzuhalten. Ein klarer Fail, denn die Maßeinheit „Seite“ ist ohne weitere Festlegungen viel zu ungenau: Welche Art von Seite ist gemeint? A4? A5? Oder vielleicht sogar Drittelseiten in einem Leporello? Ist eine Seite A4 mit 12-Punkt-Schrift das gleiche wie eine Seite A6 in 6-Punkt? Sind Seiten in Helvetica anders einzuschätzen als Seiten in Times? Was ist mit Tabellenseiten? Zählt eine Seite auch dann, wenn sie schon in einem anderen Dokument publiziert wurde? Und überhaupt: Wie sollen denn dann die vielen Online-Seiten gemessen werden?
Was Sie tun können:
Diskutieren Sie schon vorab mit den Beteiligten im Kennzahlenprozess, welche Maßeinheiten sie verwenden wollen. Im Allgemeinen sehen diejenigen, die später die Kennzahl erheben sollen, sehr viel klarer, wo Unschärfen in der Maßeinheit sind und wo die Maßeinheit nicht zum Ziel der Kennzahl passt. Klären Sie gemeinsam, ob die Kennzahl das misst, was sie messen soll. Überlegen Sie, wie die Variationsmöglichkeiten bei der Maßeinheit aussehen, also welche verschiedenen Varianten in der Datenquelle vorkommen.
Fail 2: Falsche Anreize setzen
Kennzahlen setzen immer Anreize, ob gewollt oder ungewollt. Schauen wir uns noch einmal die oben beschriebene Leistungs-Kennzahl Seitenanzahl an. Was wird passieren? Die Team-Mitglieder versuchen vermutlich (wenn sie nicht schon innerlich gekündigt haben), im zweiten Jahr der Messung mindestens so viele oder sogar mehr Seiten zu produzieren als im Vorjahr. Ein klasse Werkzeug also um die Produktivität zu steigern … Misst man den Output an Seiten pro Mitarbeiter, versuchen die Team-Mitglieder wahrscheinlich möglichst mehr Seiten zu schreiben als die Kolleg:innen. Und Seiten lassen sich ja auch dadurch produzieren, dass man weitschweifiger schreibt, größere Abbildungen verwendet, Leerseiten einfügt und was es da sonst noch so an Tricks gibt. Statt die Produktivität zu erhöhen, setzt man mit dieser Messung einen Anreiz, die Kosten zu steigern. Dumm gelaufen.
Was Sie tun können:
Zugegeben, dies ist einer der Fails, die sich am schwersten vermeiden lassen, auch weil man es im schlimmsten Fall mit aktiver Sabotage zu tun hat. Aber ein paar Ansatzpunkte gibt es doch. Überlegen Sie in Ihrem Kennzahlensystem immer, welche Anreize Sie mit Ihren Kennzahlen schaffen (und ja, jede Kennzahl schafft Anreize). Planen Sie auch ein, auf welchen Wegen vermutlich versucht wird, die Anreize zu erreichen. Beobachten Sie Ihre Kennzahlen darauf, wie sie sich entwickeln und wie die zu den Zielen und den „gefühlsmäßigen“ Eindrücken passt, die sie von der Situation haben. Und auch wenn das nicht schön ist: Seien Sie misstrauisch. Gegenüber den Beteiligten, vor allem aber gegenüber sich selbst.
Fail 3: Gewonnene Daten ignorieren
Bei der Einführung von Kennzahlen herrscht oft Euphorie. Die Systeme liefern auf Knopfdruck eine riesige Zahl an Daten und irgendwie ist das ja alles unheimlich spannend. Oft werden dann 50 oder 60 Kennzahlen erhoben und in automatisierten Reports im Unternehmen verteilt, wo sie dann in der Ablage landen. Denn niemand braucht auf Dauer im Wochenrhythmus (und nein, auch nicht im Quartalsrhythmus) solch einen Wust an Daten. Kennzahlen müssen handlungsleitend sein; sie müssen eng mit den strategischen Zielen der Unternehmenseinheit (bzw. des Unternehmens) verbunden sein, die sie erhebt. Wer 50 oder 60 Parameter gleichzeitig beobachten will, verzettelt sich fast schon zwangsläufig.
Was Sie tun können:
5 bis 10 Kennzahlen reichen für jede Technische Redaktion. Alles darüber hinaus ist Ballast. Klopfen Sie deshalb Ihre Kennzahlen daraufhin ab, ob sie wirklich Ihre strategischen Ziele unterstützen. Verzichten Sie auf alle anderen Kennzahlen, auch wenn die sicher interessant sind. Fassen Sie Kennzahlen zusammen und verdichten Sie die Daten. Stimmen Sie sich ab, welche Kennzahlen von den Beteiligten ihrer Arbeitsprozesse wirklich gesehen und verwendet werden.
Fail 4: Vergangene Bedürfnisse messen
Kennzahlensysteme altern wie Menschen: Sie gewinnen an Erfahrung und können über lange Zeiten Entwicklungen deutlich machen, die bei einer kurzfristigen Erhebung nicht zum Vorschein kommen. Nicht jede Kennzahl ist aber in jeder Lebensphase sinnvoll. Genau wie die meisten von uns Bauklötze, Pokemonkarten und Bierpong-Tische eines Tages aus ihrem Leben ausmisten, hat auch nicht jede Kennzahl auf Dauer ihre Berechtigung. Nicht weil sie verkehrt war, sondern weil sich das (strategische) Bedürfnis überlebt hat und nicht zur neuen Lebensphase passt.
Ein besonders eindrückliches Beispiel habe ich bei „Measurement Madness“ von Dina Gray, Pietro Micheli und Andrey Pavlov gefunden: In einem Unternehmen in London bekam ein neuer Mitarbeiter Ende der Siebziger die Anweisung, Kennzahlen für die Produktion zu erfassen. Eine Spalte in der Auswertungstabelle brachte ihn zum Grübeln. Sie war mit „NART“ überschrieben und als er seine Kolleg:innen darauf ansprach, bekam er die Antwort, dass das unproblematisch sei, weil man dort einfach immer nur 0 eintragen muss.
Die Spalte ließ dem Mitarbeiter aber keine Ruhe und er ging der Sache nach. Am Ende stellte sich heraus, dass die Messung noch aus dem Krieg stammte und die „Number of Air Raids Today“ erfasste, also die Zahl an Luftangriffen. Im Krieg war diese Zahl natürlich hochrelevant, aber danach haben mehr als 20 Jahre lang Mitarbeiter:innen diesen Wert ohne nachzudenken befüllt. Das ist nicht nur unproduktiv, sondern erzeugt auch Unsicherheit; z. B. weiß ich als Mitarbeiter:in nie, ob ich da nicht vielleicht doch etwas tun sollte oder ob es problematisch ist, wenn der Wert einmal nicht eingetragen wird.
Was Sie tun können:
Achten Sie in Ihrem Kennzahlenprozess immer darauf, Ihr Kennzahlensystem regelmäßig zu evaluieren. Tilgen Sie Messungen, die sich überlebt haben. Eine Kennzahl ist nicht allein deshalb gut, weil man das schon immer erfasst hat. Halten Sie Ihr Kennzahlensystem schlank. Das spart Ihnen und allen Beteiligten Aufwand und Ärger. Denn schlimmer als keine Kennzahl ist eine Kennzahl, die unnötig erstellt wird.
Die Beispiele zeigen deutlich, dass nicht jede Kennzahl automatisch eine gute Kennzahl ist und somit der Planung vor der Einführung von KPI eine große Bedeutung zukommt. Stellen Sie sicher, dass Ihre Kennzahlen klar definiert sind, wirklich zu Ihrer Redaktion passen und die richtigen Anreize setzen.