Schon fast 10 Jahre ist es her, dass unser Redaktionsexperte Johannes über die häufigsten Fehler bei Redaktionsleitfäden und Styleguides geschrieben hat. Auch wenn das Thema Redaktionsleitfäden bzw. Styleguides in der Technischen Redaktion seitdem nicht so oft im Blog auftauchte, begleitet es uns doch konstant bei unseren Projekten. Es wird also Zeit, mal bei Johannes nachzufragen, wie der aktuelle Stand ist.
Mal ganz ketzerisch: Braucht man heute überhaupt noch einen Redaktionsleitfaden? Ich denke da an die großen Contentmanagement-Systeme wie z.B. SCHEMA ST4, die ja inzwischen mit ihren Erweiterungen ganze Prozesse abbilden können, Layouts für Druck oder online definieren oder intern oder durch angeschlossene Tools schon Inhalte vorab auf Herz und Nieren prüfen können. Machen diese neuen Features ein Handbuch mit Informationen zu Prozessen, Layout oder Schreibrichtlinien nicht obsolet oder zumindest redundant? Oder muss man den Begriff „Redaktionsleitfaden“ heute einfach anders definieren?
Johannes Dreikorn: Es kommt tatsächlich darauf an, was man unter einem Redaktionsleitfaden versteht. Eine Sammlung von Vorgaben zum korrekten Layouting braucht eine Redaktion mit CMS tatsächlich nicht mehr. Auch wer für Terminologie, Wording und Stilistik ein Expertensystem wie congree einsetzt, kann seinen Redaktionsleitfaden inhaltlich enorm entlasten.
Aber es gibt immer noch viele Dinge, deren Qualität wir nicht automatisiert herstellen oder prüfen können. Konkretes Beispiel: Was muss ich beachten, um ein inhaltlich vollständiges und zielgruppentaugliches Topic zu erstellen? Das zudem in allen benötigten Kanälen funktioniert – print, online, auf dem Maschinenpanel, auf der Datenbrille? Das sind die Fragen, die darüber entscheiden, ob mein Content funktioniert. Oder die an sich recht simple Frage: Wie lege ich meine Bausteine im CMS ab? Dem CMS ist das egal, technisch prüfen kann ich es nicht. Aber daran hängt die Effizienz des gesamten Redaktionsteams.
Wo stehen die Unternehmen heute fast 10 Jahre nach dem letzten Artikel? Sind es immer noch die gleichen 7+1 Punkte, an denen Probleme auftreten oder sind hier neue Aspekte dazugekommen?
Johannes Dreikorn: Ich habe mir den Post gerade noch mal durchgelesen. Es ging mir damals um die Frage, warum Redaktionsleitfäden nicht funktionieren. Und mal abgesehen davon, dass das Problem für viele Redaktionen immer noch darin besteht, dass sie überhaupt keinen Leitfaden für sich entwickelt haben und jeder im Modus „nach bestem Wissen und Gewissen“ arbeitet: Die konzeptionellen Probleme sind immer noch dieselben. Ich sehe auch heute zum Beispiel immer noch Redaktionsleitfäden, die relativ blumige und unkonkrete Anforderungen formulieren. Die kann niemand einhalten, Zeit zur korrekten „Interpretation“ hat keiner – also sind die Regeln wirkungslos. Oder Redaktionsleitfäden, die viel zu detailliert sind und systematisch an den Zielgruppen vorbeikommunizieren. Viel Arbeit für Null Effekt. Das ist schade.
Du warst 2013 bekennender Papierfan und wolltest in einem Handbuch blättern können. Gilt das immer noch oder haben inzwischen andere Formate Dein Herz erobert?
Johannes Dreikorn: Print oder Non-Print, die alte Frage, aber eine zugegeben wichtige. Papier finde ich ehrlich gesagt immer noch dann gut, wenn eine Redaktion sich entscheidet, ihren Leitfaden als „Kompendium“ aufzubauen. Ein richtiges klassisches Dokument, das alle Themen schön der Reihe nach wie in einem Handbuch durchgeht – und in dem man deswegen „noch richtig blättern“ kann. So einen Leitfaden online als PDF am Rechner zu verwenden, macht keinen Spaß.
Online wird dann richtig gut, wenn der Leitfaden modular in Topic-Manier aufgebaut ist. Also kurze thematische Abschnitte, die eine ganz konkrete Frage beantworten. Checklisten für komplexere Dinge. Das kombiniert mit einer guten Suche, Filtermöglichkeiten und Favoriten – also das ganze Set an Möglichkeiten, das modernes HTML ermöglicht. Das ist mein Traum heute. Und mit einem CMS ja auch beides gut umsetzbar.