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Styleguides oder auch „Redaktionsleitfäden“ sind in der Technischen Dokumentation beliebt, um für eine einheitliche sprachliche Qualität zu sorgen. Doch immer wieder scheitern Styleguides. Denn einen Styleguide zu erstellen, ist alles andere als einfach. In unseren Beratungsprojekten begegnen wir solchen gescheiterten Styleguides immer wieder. Und meist steckt einer der folgenden Fehler dahinter:
1. Unklare Ziele und Qualitätsmaßstäbe
Oft herrscht in einer Redaktion zwar Einigkeit, dass man eine Redaktionsrichtlinie braucht, aber nicht so sehr, warum. Ziele und Qualitätsmaßstäbe zu definieren, bedeutet eben auch, dass man „weit“ zurückfragt zu den Unternehmenszielen – Kosten sparen, Premium-Qualität anbieten etc. Die erste Frage ist also nicht: Was will ich regeln? Sondern: Warum und mit welchen Zielen möchte ich regeln?
Damit ist dann auch klar, warum es keine gute Idee ist, sich einfach einen „Standard-Styleguide“ im Internet zu suchen und zu kopieren. In den allermeisten Fällen scheitern solche Vorlagen, weil sie an den Zielen des Unternehmens vorbeigehen.
2. Zielgruppen nicht bedenken
Jeder Styleguide hat (mindestens) zwei Zielgruppen:
- Die „interne“ Zielgruppe, also diejenigen, die den Leitfaden anwenden sollen.
- Und die Leser, denen die standardisiert formulierten Texte helfen sollen.
Oft vergisst man die zuerst genannte Zielgruppe des Styleguides, nämlich die Autoren. Dann bewirken die Regeln zwar im Prinzip eine tolle Qualität für den Leser, sind aber leider für die Autoren nicht umsetzbar.
3. Überambitionierung
So schwer einem das manchmal als Sprachprofi fällt: Ein Leitfaden darf nicht zu viel wollen. Je mehr sprachliche Details geregelt werden sollen, desto umfangreicher und komplexer wird der Leitfaden.
Wie viel man den „Anwendern“ des Leitfadens zumuten kann, hängt von deren Schreibprofessionalität ab. Wenn ich Gelegenheitsschreiber dazu bringen möchte, eine bestimmte Textqualität zu erreichen, darf ich nur mit ganz wenigen Regeln arbeiten, die diese Leute auch nachvollziehen können. Sonst ist die Akzeptanz im Nu weg.
Richtet sich der Leitfaden an Sprachprofis, darf er ruhig elaborierter, fachlicher und umfangreicher sein.
4. Blindes Übernehmen alter Regeln
In jeder Redaktion gibt es bereits (geschriebene und ungeschriebene) Sprachregeln. Meist sind sie historisch gewachsen, nicht immer passen sie zueinander oder zu den übergreifenden Zielen.
Also: Wenn schon ein Leitfaden, dann muss ein Großreinemachen stattfinden. Erst fachlich korrekt standardisieren, im Kleinen erproben und dann via Styleguide zum Standard erheben.
5. Unkonkret bleiben
Abstrakte oder prosaische Regelsammlungen, die nebulöse Sollzustände beschreiben und nicht konkret werden, sind schlimmer als gar keine Regeln. „Schreiben Sie anregend“, „Vermeiden Sie unverständliche Begriffe“ – Mit solchen Gemeinplätzen können Redakteur:innen nun wirklich nichts anfangen.
Ähnlich wie bei einer Anleitung gilt auch für Styleguides: „eindeutig, klar und instruktiv“. Besser wenige klare Regeln, die sich auch wirklich umsetzen lassen. Wenn sich später zeigt, dass die Regeln nicht ausreichen, können immer noch neue (konkrete) ergänzt werden. Denn ein Styleguide darf niemals in Stein gemeißelt sein, er muss leben und sich den Bedürfnissen der Autoren (und Leser) anpassen.
6. Zu wenige Beispiele
Und dazu passt auch: Ein Redaktionsleitfaden ohne gute Beispiele ist tot. Die Beispiele müssen aus dem Redaktionsalltag sein und nicht speziell für den Leitfaden konstruiert werden. Lässt sich für eine Regel kein Beispiel finden, ist die Regel vielleicht an sich nicht so wichtig.
Am besten ist es, man bietet zusätzlich zu den beispielhaften Ausschnitten im Leitfaden einen Reader an, in dem man als Redakteur vollständige Texte nachlesen kann, mit Kommentaren, welche Regeln jeweils angewendet wurden.
7. Unpraktisches Medienformat
Dazu muss man die Arbeitsweise der Autoren genau kennen. Ziel ist es, den Styleguide so eng wie möglich in den Schreibprozess zu integrieren. Ob der Styleguide dann als Druckwerk, als Intranet-Angebot oder direkt integriert in der Arbeitsumgebung vorgehalten wird (oder alles gleichzeitig), ist vom konkreten Einzelfall abhängig.
Zugegeben: Ich bin immer noch ein Freund von Papier. Denn einen Leitfaden muss man einfach „in die Hand nehmen“ und darin „blättern“ können.
Zusatztipp: Bloß die Nutzer nicht ins Boot holen
Wenn Sie wirklich sicherstellen wollen, dass Ihr Styleguide scheitert, dann sollten Sie auf jeden Fall diesen Tipp befolgen. Reden Sie über die Köpfe Ihrer Nutzer hinweg. Vermeiden Sie, die Erfahrungen der Redakteure einzuholen, ignorieren Sie ihre Befürchtungen und Bedürfnisse. Sprechen Sie von Regeln, die befolgt werden müssen; drohen Sie mit Konsequenzen, wenn Regeln nicht eingehalten werden.
Kurz: Zeigen Sie sich als autokratischer Diktator. Und machen Sie sich auf jeden Fall unerreichbar, damit Sie kein Anwender-Feedback belästigt. Denn mal ehrlich: Wenn eine Regel im Alltag nicht weiterhilft, dann liegt das doch an den Redakteur:innen und nicht am Styleguide…
Lange Rede. kurzer Sinn. Warum raten Sie den Redakteuren nicht vorab, einen persönlichen Stil zu finden, sich als Typ und nicht als Schreiberling zu beweisen und – last not least – den Blick für die Realität (= auf den Leser) zu bewahren?!
Wenn Sie einen Redaktionsleitfaden nur für sich oder eine ganz kleine Gruppe schreiben, dann geht das Verfahren sicherlich schneller und ohne so tiefgreifende Planung. In unseren Projekten haben wir es aber meist mit Redaktionen zu tun, in denen 20 und mehr Redakteure ihr Schreiben standardisieren sollen/wollen. Und Unternehmensziele respektive -prozesse, für die genau überlegt sein will, warum man was tut. Da ist die ausführliche Variante die einzig zielführende.
Absolut richtig, wobei ich den zweiten Punkt am wichtigsten finde. Um die Zielgruppe wirklich ansprechen zu können muss man diese wirklich genau kennen. Und ich meine wirklich genau. Ansonsten ist die Absprungrate einfach viel zu groß.
Wenn man allerdings das erstmal verstanden hat, dann wird es deutlich einfach die richtigen Worte zu Papier zu brigen.
Gruß
Eugen