Anglizismen? Schrecklich! Sprachverschandelung! – Wenige sprachliche Themen rufen in der Öffentlichkeit so große Emotionen hervor, wie Anglizismen, also aus der englischen Sprache ins Deutsche übernommene Wörter. Meist sind diese Emotionen negativ. Es wird beklagt, dass die Sprache durch Anglizismen unverständlich würde; 2013 hat sogar die Duden-Redaktion den Negativ-Preis eines Sprachvereins erhalten, weil sie zu viele Anglizismen ins Wörterbuch aufgenommen habe.
Andererseits ist gerade wieder (wie seit 2009/2010 jährlich) der „Anglizismus des Jahres“ als positive Würdigung dieser sprachlichen Entlehnungen ermittelt worden. In Wortanalysen konnte dabei gezeigt werden, dass Anglizismen ganz sinnvoll genutzt werden, um Neues zu benennen. Wie sind Anglizismen aber nun aus Sicht der Technischen Redaktion zu beurteilen?
Anglizismen in der Technischen Redaktion
Traditionell pflegt die Technische Redaktion Fremdwörtern gegenüber eine skeptisch-ablehnende Haltung – und zu den Fremdwörtern zählen auch die Anglizismen. Diese allgemeine Haltung ist nachvollziehbar und begründet: Fremdwörter sind häufig nicht allen bekannt, also nicht allen verständlich. Die Verständlichkeit der Texte fürs Zielpublikum ist aber die oberste Maxime für die Technische Redaktion: Wenn es neben einem Fremdwort auch ein bekannteres, besser verständliches deutsches Wort mit derselben Bedeutung gibt, muss das deutsche Wort verwendet werden.
Bei Anglizismen liegt aber häufig eine andere Situation vor: Neue technische Entwicklungen aus dem englischen Sprachraum werden heutzutage ohne nennenswerte Verzögerungen auch hierzulande bekannt. Bevor sich jemand über eine deutsche Benennung Gedanken machen kann, haben die neuen Produkte auch schon ihre englischen Bezeichnungen mitgebracht, unter denen sie schnell einem großen Publikum bekannt und geläufig sind.
Wenn nun dem Technischen Redakteur oder der Redakteurin bei der Arbeit ein solcher Anglizismus begegnet, dann stellt sich die Frage:
- Gibt es für dieses Wort, das im Deutschen schon eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, einen besseren „deutschen“ Ausdruck?
- Wo wäre so ein deutscher Ausdruck zu finden?
- Ist er mindestens genauso bekannt und bezeichnet er auch genau das, was mit dem Anglizismus gemeint ist?
Sinn und Unsinn von Verdeutschungen
Die bisherige Erfahrung zeigt, dass in Bekanntheit und Bedeutung gleichwertige „althergebrachte“ deutsche Bezeichnungen selten zu finden sind. Einige Beispiele, die so tatsächlich vorgeschlagen werden (Quelle: Anglizismenindex des Vereins Deutsche Sprache):
- Unter dem Ausdruck „Bluetooth“ kann sich das technikaffine Publikum – nicht nur Experten, sondern auch interessierte Laien – längst etwas vorstellen. Wer aber den Anglizismus nicht kennt, wird mit der vorgeschlagenen Verdeutschung „Blaufunk“ auch nichts anfangen können.
- Wer das Wort „Ethernet“ lediglich durch das vorgeschlagene „Netzprotokoll“ ersetzt, verliert Information, denn „Ethernet“ ist nur eines unter mehreren Netzprotokollen.
- Ähnlich bei „RSS-Feed“ und dem Vorschlag „Netzinhalte-Abonnement“. Gerade in technischem Kontext kann es beispielsweise von Belang sein, ob ein Newsfeed im RSS-Format oder vielleicht im Atom-Format angeboten ist.
- In einem Beitrag über Video-Blogging kann man versuchen, den evtl. nicht allgemein bekannten Ausdruck „Vlog“ (oder: „Video-Blog“) durch „Netztagebuch mit Videosequenzen“ zu umschreiben („Netztagebuch“ ist dabei ebenfalls eine Verdeutschung: für „Blog“). Wenn man den Anglizismus aber jedes Mal durch die lange Erklärung ersetzen würde, wäre der Text so sperrig, dass wiederum die Lesbarkeit und Verständlichkeit leiden würde.
Man sieht: Wort-Neuerfindungen haben den Nachteil, dass sie eben ganz neu in der Sprache sind und deshalb unverständlich sein können („Blaufunk“). Andere Verdeutschungsversuche sind zwar leidlich verständlich, reichen aber nur annähernd an die tatsächliche Bedeutung des Anglizismus heran („Netzprotokoll“, „Netzinhalte-Abonnement“); oder sie sind keine Wortalternativen, sondern eigentlich langatmige Erklärungen („Netztagebuch mit Videosequenzen“). Zur Ersetzung von Anglizismen eignen sie sich daher nicht: Wenn der Text verständlich, inhaltlich korrekt und lesbar bleiben soll, sind die Anglizismen in Fällen wie diesen die erste Wahl!
Ganz unsinnig sind die Verdeutschungsversuche jedoch nicht. Schließlich wird bei der Technischen Redaktion auch gefordert, potenziell unverständliche, aber notwendige Fremd- oder Fachwörter im Text zu erklären. Auch ein erläuterndes Glossar wird in bestimmten Fällen empfohlen. An diesen Stellen, also als Erklärung, nicht als Ersetzung, sind paraphrasierende Angaben richtig – ob diese nun „Netztagebuch mit Videosequenzen“ lauten müssen oder doch besser „Online-Tagebuch mit Video-Einträgen“, sei hier einmal dahingestellt.
Im weiteren Verlauf müssen Technische Redakteur:innen die sprachliche Entwicklung verfolgen und prüfen, ob sich zu einem Anglizismus tatsächlich noch ein verdeutschter Ausdruck etabliert, der eine vollwertige Alternative darstellt. Die Technische Redaktion selbst ist jedoch nicht der Ort für aktiv verdeutschende Sprachpolitik. Gänzlich unberührt von solchen Überlegungen bleiben natürlich Fälle, in denen mit einer Terminologie gearbeitet wird, die für bestimmte englische Ausdrücke feste deutsche Bezeichnungen ausdrücklich vorsieht.
Letzten Endes muss der Technische Redakteur/die Technische Redakteurin auch im Fall der Anglizismen wissen bzw. ein Gespür dafür haben oder prüfen, wie bekannt ein Anglizismus bei der Zielgruppe des Texts ist. Wenn die Leserschaft den Anglizismus kennt, dann ist womöglich die Verdeutschung das „Fremdwort“: das fremde, neue Wort. Und dann muss der Anglizismus verwendet werden – zur besseren Verständlichkeit.
[Der Autor ist Mitglied der Jury zur Wahl des „Anglizismus des Jahres“ 2014.]
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Ihre Beobachtungen sind – insbesondere für Neologismen – sicherlich zutreffend. Ein Großteil der Kritik an Anglizismen richtet sich aber nach meinem Eindruck gegen die (teils bemüht “jugendlich” wirken wollende) unreflektierte Verwendung von Anglizismen, wo es mindestens ebenso passende deutsche Wendungen gäbe. Sperrige Verbformen wie “gedownloadete Files” sind nur eine unerfreuliche Folge.
Aber wie immer ist hier natürlich der Technische Redakteur gefragt, im Einzelfall für das angesprochene Publikum den besten Ausdruck zu finden. Anglizismen sind mit Sicherheit nicht per se “böse” – aber ein bisschen Nachdenken vor zu flächendeckendem Einsatz kann, denke ich, auch nicht Schaden. Nur dann wird der committete Redakteur auch zum overachiever 😉
Danke für Ihren Kommentar! Sicherlich sollte man, gerade als Redakteur, nichts unreflektiert nachplappern — seien es unpassende Anglizismen, hohle Marketing-Phrasen o.Ä. Auf der anderen Seite kann zu viel selbst auferlegte Zurückhaltung bei Anglizismen, die die Zielgruppe eigentlich kennt, wiederum zu anderen holprigen Konstruktionen führen. Das begegnet einem auch hie und da in der Arbeit … Wie Sie schon schrieben: “ein bisschen Nachdenken” ist meist schon eine große Hilfe 😉
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Die dt. Übersetzung von “bluetooth” wäre aber “Blauzahn” nicht Blaufunk, was noch weniger verständlich wäre…
“Der Name „Bluetooth“ leitet sich vom dänischen König Harald Blauzahn (englisch Harald Bluetooth) ab, der verfeindete Teile von Norwegen und Dänemark vereinte.[1] Das Logo zeigt die zusammengerückten altnordischen Runen für H und B.” https://de.wikipedia.org/wiki/Bluetooth