Wir freuen uns über den heutigen Gastbeitrag von Dr. Christiane Zehrer. Sie hat in ihrer Promotion Rechercheprozesse in der Technischen Redaktion erforscht – ein Thema, das uns im doctima Blog schon lange umtreibt.
Christiane Zehrer beschäftigt sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim neben Wissenskommunikation und Multimodalität auch mit Leichter Sprache im Rahmen der gleichnamigen Forschungsstelle.
Aufgabe der technischen Redaktion ist es, Inhalte für eine bestimmte Zielgruppe korrekt darzubieten. Was bislang häufig übersehen wird: die Darbietung bzw. Aufbereitung der Inhalte ist bereits der zweite Schritt in einem gedachten Arbeitsprozess der technischen Redaktion. Denn bevor man Inhalte aufbereiten kann, muss man diese zunächst überhaupt zur Verfügung haben. Dies geschieht in der Phase der Recherche bzw. Inhaltsakquise (s. a. Abb. 1).
Dass dieser Arbeitsschritt wenig beachtet wird, dürfte daran liegen, dass hierfür kaum ausgearbeitete Methoden zur Verfügung stehen. Das heißt: erfahrenere Redakteurinnen und Redakteure lassen sich meist von einer „ersten Ahnung“ leiten. Vielleicht dienen vorhandene Dokumentationen als Orientierung, was „im Unternehmen üblich“ ist. Würde es nicht helfen, auch hier ein strukturiertes Vorgehensmodell zu nutzen?
Dann stellt sich zunächst die Frage, welche methodischen Schritte zu den Inhalten führen, die später für eine Dokumentation benötigt werden. Woher weiß ein Redakteur oder eine Redakteurin, welche Details von Bedeutung sind? Und mit welchen Recherchetechniken kann dies gelingen? Eine von mir durchgeführte wissenschaftliche Studie (im Maschinen- und Anlagenbau) hat gezeigt, dass die benötigten Inhalte im Wesentlichen vier Typen zuzuordnen sind:
- Detailwissen
- Einordnung in den zeitlichen Ablauf
- Terminologisches Wissen
- Hintergrundwissen
Mit Detailwissen ist etwa die genaue Position oder Einbauweise eines Bauteils gemeint. Die Einordnung in den zeitlichen Ablauf gibt Auskunft darüber, in welchem zeitlichen Verhältnis ein Arbeitsschritt zu weiteren steht. Terminologisches Wissen handelt von der nachvollziehbaren und konsistenten Benennung von Objekten und Tätigkeiten/Abläufen. Hintergrundwissen schließlich ordnet Arbeitsschritte einem weiter gefassten Ziel zu und macht es nachvollziehbar.
Wie viele Möglichkeiten sich beim Schritt Recherche noch eröffnen können, zeigt der Vergleich mit den ausgefeilten Methoden der Darstellung: Funktionsdesign®, IMAP® oder Taxonomien zur Passung von Inhalt und Darstellung wie bei Alexander (2007). Diese führen die Anwenderin oder den Anwender fast ohne Fehl und Tadel vom angestrebten Kommunikationsziel über die Inhalte bis zur idealen, wiederverwendbaren Darstellungsweise jedes Dokumentenbausteins.
Eine analoge Vorgehensweise lässt sich nun auch für die Recherche umsetzen. Die obigen Inhaltstypen bilden die Grundlage für ein entsprechendes Recherche-Raster. Fragen, die das Raster konkretisieren, lauten z. B.:
- Welchen Detailliertheitsgrad soll die spätere Darstellung besitzen?
- Welche Rolle spielt die zeitliche Struktur kleinerer und größerer Abschnitte?
- Ist ein Sachverhalt so zentral, dass eine Benennung etabliert werden sollte? – Dies gilt für Gegenstände und Handlungen
- Wie stark muss die Darstellung didaktisiert oder kontextualisiert werden?
Die Daten aus meiner Studie zeigen, welche Informationen je nach Antwort gesammelt werden müssen. So erfordert ein hoher Detaillierungsgrad der späteren Darstellung selbstverständlich auch einen hohen Detaillierungsgrad der zu erfragenden Inhalte. Ist dabei zuvor klar, dass Details z. B. durch eine Zeichnung wiedergegeben werden sollen, kann direkt ein entsprechendes Dokument eingefordert werden. Dies erspart sowohl bei der Recherche als auch in der Phase der Darstellung viele Nachfragen und Erklärungen. Der zeitliche Ablauf stellt eine besondere Herausforderung dar: Mag er in den meisten Fällen für einzelne Arbeitsgänge noch klar ersichtlich sein, sollten die Voraussetzungen und Abhängigkeiten des jeweiligen Arbeitsganges immer explizit erfragt werden.
Dass eine konsistente Terminologie in der technischen Dokumentation unabdingbar ist, wird niemand bestreiten. Wichtig bei der Recherche ist es nicht nur, inkonsistente Benennungen für dieselben Sachverhalte zu identifizieren. Auch muss der Redakteur oder die Redakteurin die Notwendigkeit erkennen, für zentrale Gegenstände und Handlungen sprechende und kompakte Bezeichnungen einzuführen. Schließlich sollte für jeden möglichen Inhalt überlegt werden, ob dieser für die Zielgruppe durch eine rein beschreibende Darstellung verständlich wird. Ist dies nicht der Fall, müssen Hintergrundinformationen eingeholt werden. Diese schlagen sich dann als zusätzliche Erläuterungen in der Dokumentation nieder. Werden sie während der Inhaltsrecherche außer Acht gelassen, führt dies in der Regel zu einer lückenhaften, nicht zielgruppengerechten Dokumentation.
Zusammenfassend erscheint es zunächst notwendig, dass sich technische Redakteurinnen und Redakteure der Bedeutung der Recherche bewusst werden. Diese muss strategisch angegangen werden. Dazu gehört, die spätere Darstellung in der Dokumentation bereits zu Beginn des Dokumentationsprozesses zu berücksichtigen. Die obigen Leitfragen können dazu dienen, nichts Notwendiges zu vergessen. Vielfach helfen sie auch, unnötigen Aufwand zu vermeiden.
Der Umgang mit dem Recherche-Raster in der Praxis erfordert – wie die oben angeführten Methoden der strukturierten Darstellung – eine gewisse Eingewöhnung. Hier besteht die besondere Herausforderung darin, dass die Recherche naturgemäß „live“ stattfindet. Während Sie beim Erstellen der Dokumentation zurückspringen können, können Sie Ihr Gegenüber nicht einfach „zurückspulen“, bis der rote Faden im Gesagten wieder erkennbar wird. Schulungen mit unternehmens- oder fachspezifischen Beispielen können hier viel dazu beitragen, kritische Punkte rechtzeitig zu erkennen. Auch ist es möglich, auf Basis derselben Daten (und von Modellen der zu erstellenden Dokumentationen) Dialogsysteme zu entwickeln, die die Recherche kontextsensitiv unterstützen. Denn warum „erst“ beim Schreiben strukturiert vorgehen?
Quellen
Alexander, Kerstin (2007): Kompendium der visuellen Information und Kommunikation. Berlin: Springer.
Zehrer, Christiane (2014): Wissenskommunikation in der technischen Redaktion. Die situierte Gestaltung adäquater Kommunikation. Berlin: Frank & Timme. Zugl. Diss., Universität Hildesheim, 2013.
Sie sprechen von “Funktionsdesign®, IMAP® “…wie ist es mit DITA und “topic-based structured authoring”?
Ein Blick auf Mark Baker’s Blog: http://everypageispageone.com/ wäre vielleicht angebracht.
Im 21. Jahrhundert arbeiten SAP, Volkswagen und demnächst AIRBUS mit DITA 😉
Hallo Frau Flacke,
danke für Ihre ergänzenden Hinweis. Natürlich gibt es weitere Strukturierungstechniken außer den von mir genannten. Diese sind einfach der Kürze zum Opfer gefallen.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Zehrer
“Dass eine konsistente Terminologie in der technischen Dokumentation unabdingbar ist, wird niemand bestreiten. Wichtig bei der Recherche ist es nicht nur, inkonsistente Benennungen für dieselben Sachverhalte zu identifizieren. Auch muss der Redakteur oder die Redakteurin die Notwendigkeit erkennen, für zentrale Gegenstände und Handlungen sprechende und kompakte Bezeichnungen einzuführen.”
Ich kann Ihre Erfahrungen in der Praxis nicht beurteilen, aber insbesondere die Bezeichnungspraxis für Bauteile, Baugruppen etc. wird in den meisten Unternehmen NICHT von Redakteuren geprägt. Technische Redakteure stehen hier häufig vor der Herausforderung, “Dialekte” auf eine “Standardvariante” abzubilden. Das blendet Ihre Perspektive komplett aus. Was eine “kompakte Bezeichnung” sein soll, habe ich auch nicht verstanden.
Hallo Herr Krause,
natürlich müssen Redakteure auch damit kämpfen (mehr oder weniger), dass unterschiedliche Personen oder Abteilungen unterschiedliche Bezeichnungen für denselben Gegenstand verwenden. Was ich hier meine ist aber: Sie können – und sollten – diejenigen sein, die erkennen, dass ein Sachverhalt Begriffscharakter hat und eine spezifische Bezeichnung verdient. Dies kann auch ein Verb oder ein Phraseologismus sein. “Kompakt” bedeutet vor diesem Hintergrund, dass ein ganzer Sachverhalt mit einem möglichst kurzen, vor allem aber für diesen Sachverhalt festgelegten Ausdruck bezeichnet wird.