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Nun ist das Highlight des Doku-Frühlings schon wieder vorüber. Die tekom Frühjahrstagung war wie üblich ein Erlebnis. Allerdings mit einigen Abstrichen. Befremdet hat mich Manfred Spitzer als Keynote Speaker für die Tagung. „Digitale Demenz“ – passt das zu einem Verband, der eigentlich neuen Medien gegenüber aufgeschlossen sein müsste? Zumal Spitzers Thesen ja nicht zuletzt wegen wissenschaftlicher Unzulänglichkeiten immer wieder kritisiert wurden. Wissenschaftlich fundiert untersucht wurde das Thema übrigens vor kurzem von Markus Appel und Constanze Schreiner in der Psychologischen Rundschau. Uns hat die Keynote dazu bewogen, erst gegen Mittag in Augsburg anzureisen. In Gesprächen und im Lauf der Tagung habe ich dann allerdings den Eindruck gewonnen, dass viele Teilnehmer den Vortrag doch ganz gut fanden. Ich bin auf jeden Fall schon gespannt auf die nächste Keynote. Vielleicht ein Plädoyer gegen das Englische mit Walter Krämer vom Verein deutsche Sprache?
Bitter auf Twitter
Dazu passt auch, dass die Diskussion auf Twitter zur Frühjahrstagung recht überschaubar geblieben ist. Letztes Jahr war hier mehr los und ich habe das sehr genossen. Diesmal tummelten sich fast ausschließlich Unternehmensmeldungen à la „Besuchen Sie uns an unserem Stand“. Dabei bieten interessante Twittermeldungen auf einer Tagung einen echten Zusatznutzen. Sie ermöglichen es auch denen, die zu Hause geblieben sind, etwas von der Veranstaltung mitzubekommen.
Zumindest war das Thema Web 2.0 inhaltlich nicht ganz aus dem Fokus. Neben meinem Beitrag zu Shitstorms gab es noch einen weiteren (wirklich sehenswerten) Beitrag, in dem Ute Klingelhöfer zeigte, wie man mehr aus Xing herausholt.
Die Themen
Rahmenthema der Veranstaltung war „Im Dialog mit den Kunden“. Ich hatte erst Bedenken, dass das Thema zu breit gewählt sein könnte, wurde aber eines Besseren belehrt. Gleich mehrere Vorträge nutzten die Gelegenheit, auf die Zusammenarbeit zwischen Dokumentation, Service und Support einzugehen. Positiv aufgefallen ist mir der Vortrag von Konrad Drohomirezky, der die kognitiven Strategien von Servicetechnikern bei der Problemlösung untersucht hat und darauf aufbauend gezeigt hat, welche Konsequenzen sich dadurch für die Dokumentation ergeben.
Ein anderes Highlight war der Vortrag von Ulrich Schmidt „Terminologiearbeit im Unternehmen“, in den ich eher zufällig geraten bin. Schmidt beschäftigte sich mit der Frage, wo der Nutzen von Terminologiearbeit liegt – eigentlich ein altes Thema. Das war aber so konkret aufbereitet und auf die praktische Ebene heruntergebrochen, wie ich es bisher selten gesehen habe.
Mein Kollege Edgar Hellfritsch war mit auf der Tagung:
Wie immer war die Qualität der Vorträge, die ich gehört habe, recht heterogen. Ich beschränke mich hier auf diejenigen, die mir positiv aufgefallen sind und die Markus nicht bereits erwähnt hat. Meine Meinung zu den übrigen habe ich im neu angebotenen Online-Bewertungstool honestly hinterlassen – für mich als Smartphonebenutzer ein sehr angenehmes neues Feature der Tagung. Danke an die tekom und an @Lesegefahr, der das wohl angeregt hatte.
Mein eigener Vortrag behandelte die (in vielen Firmen noch nicht vorhandene) Schnittstelle zwischen Hotline und Technischer Doku, was sich thematisch sehr schön mit der anschließenden Präsentation der SAP-Kolleginnen Dr. Brigitte Schröter-Mayer und Sigrid Wieshofer ergänzt hat. Die beiden, eine aus dem Support, eine aus der Technischen Doku, haben ein Pilotprojekt vorgestellt, in dem sie das Kundenfeedback aus der Hotline als Quelle verwenden möchten, um die Qualität der Dokumentation zu verbessern.
Beeindruckt hat mich der Vortrag von Jochen Marczinzik. Der Mitarbeiter unseres Partners SCHEMA (Jaja. Nein. Ich arbeite in der Entwicklung, nicht im Marketing. Ich WAR beeindruckt.) hat mit dem Prototypen nw-help ein sehr spannendes neues Help-Viewer-Konzept auf Opensource-Basis vorgestellt, das die angegraute Onlinehilfe an den Haaren packt und mit Schmackes ins 21. Jahrhundert herüberzieht. Schon der Prototyp hat mit Features wie Package Management, Piwik-Statistik oder Jira-Anbindung mehr Glöckchen und Schleifchen als die kombinierte Garderobe von Lady Gaga und Cindy aus Marzahn zusammen. Und: er wirkt auch optisch seriöser.
Was ich auf keinen Fall vergessen möchte, ist, das Tagungs-Team der tekom für den wieder einmal völlig schmerzfreien Ablauf der Tagung zu loben. Ihr habt das im Griff, und das ist gut so.
Hohe Erwartungen hatte ich an den Vortrag „Progressive Disclosure“ von Jan Graat. Und sie wurden auf ganzer Linie enttäuscht. Hinter dem buzzword-fähigen Titel verbirgt sich ein einfaches Konzept, bei dem Informationen sukzessive zugänglich gemacht werden. Ähnliche Überlegungen kenne ich schon aus den späten Neunzigern – bei Graat allerdings ergänzt um die Möglichkeiten von HTML5. Gepaart war das Ganze mit einer penetranten Evangelisierung für DITA und ein wenig Herablassung für den deutschen Markt, in dem DITA nicht so recht Fuß fassen will (vielleicht weil die Methodik hier bereits vor DITA auf einem sehr hohen Stand war?)
Der große Rahmen
Natürlich ist die Auswahl der Vorträge immer ein wenig zufallsbedingt. Bei mehreren Vortragsslots kann man leider nicht immer alles sehen, was man gerne sehen würde. Und nicht für alles, was man gesehen hat, bleibt genügend Raum zum Besprechen. Erwähnen möchte ich aber zumindest noch die Vorträge von Benedikt Lutz, der das Thema Verständlichkeit wissenschaftlich für Praktiker aufzubereiten versucht und einen interessanten Beitrag von Annette Stotz, die bei SAP untersucht hat, welche Qualitätskriterien Kunden (und anderen Interessensgruppen) bei Texten auf der Benutzeroberfläche wichtig sind.
Insgesamt überwiegt der positive Eindruck, den ich von der Tagung gewonnen habe. Dazu hat auch der gelungene Rahmen der Veranstaltung beigetragen. Augsburg ist eine sehenswerte Stadt, die leider ein wenig abseits der üblichen Veranstaltungsorte liegt. Das Konferenzzentrum ist der Tagung aber voll gerecht geworden (wenngleich der mobile Webzugang ein wenig Schwierigkeiten gemacht hat). Die Tagungshelfer waren freundlich und hilfsbereit – hier noch ein großes Lob. Und das Catering war wieder einmal ausgezeichnet. Sehr gefallen hat mir auch die Ausstellung mit historischen Beispielen zur Infografik, die Kongressaal gezeigt wurde. Ich bin gespannt, ob sich dieses Format (Ausstellung zur Tagung) durchsetzen wird – mich würde es freuen.