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Zu Beginn gleich ein paar provokante Fragen vorweg: Sind Frauen in der Technischen Dokumentation unsichtbar? Entfalten Anleitung ihre volle Wirkung für die gesamte Leserschaft – oder doch nur für die (männliche) Hälfte?
Diesen Fragen wollen wir hier nachgehen und dabei einen Blick auf (alte) Gewohnheiten, relevante Urteile, anekdotische Befunde und wissenschaftliche Studien werfen.
Wenn wir uns technische Dokumente genauer anschauen und das aus einem weiblichen Blickwinkel, stellen sich zwei Fragen:
- Sind die Texte für Frauen genauso gut nutzbar wie für Männer?
- Werden Frauen in den Texten genauso häufig erwähnt wie Männer?
Es geht also zum einen um die kommunikative Wirkung von Texten und zum anderen um den Inhalt, der kommuniziert wird.
Frauen dürfen mit männlichen Formen „mitgemeint“ werden
Das ist der juristische Blickwinkel. Im März 2018 kam der Bundesgerichtshof zu dem Urteil, dass es keinen gesetzlichen Anspruch darauf gibt, in Vordrucken und Formularen mit dem passenden grammatischen Geschlecht genannt zu werden (Aktenzeichen VI ZR 143/17). Eine Kundin der Sparkasse hatte geklagt, weil sie in Formularen nicht als „Kundin“ bezeichnet wird. Nach Meinung des Gerichts ist aber das generische Maskulinum allgemein verständlich und der Kostenaufwand für eine Umstellung unverhältnismäßig. Frauen dürfen also aus juristischer Sicht bei männlichen Formen „mitgemeint“ werden – ob sie wirklich mitgemeint fühlen, ist eine ganz andere Sache.
Das Problem von Genus und Sexus
Alle Sprachen mit einem grammatischen Geschlecht stehen bei der Gleichberechtigung von Männern und Frauen vor zwei Problemen:
- Was tun, wenn grammatisches Geschlecht (Genus) und biologisches Geschlecht (Sexus) abweichen?
Das Mädchen Anna spielt Fußball. Sie/Es (?) ist Stürmerin. - Was tun bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen oder wenn keine geschlechtliche Markierung gewünscht ist?
Anna ist Stürmer/in.
Da der Genus eine zwingende grammatische Kategorie von Substantive ist, muss hier eine Entscheidung getroffen werden – und so entstand das generische Maskulinum vor allem aus Bequemlichkeitsgründen.
Ein Argument für das generische Maskulinum ist: „Das war schon immer so.“ Dieses Argument zieht selten und auch nicht bei Sprache, denn diese verändert sich permanent und passt sich neuen Erfordernissen an. So sprechen wir heute Singlefrauen nicht mehr mit Fräulein an und Backfisch gibt es für die meisten nur noch am Fischstand.
Auch der Vergleich mit dem Englischen zieht nicht, denn Englisch ist eine genderlose Sprache. Teacher ist also nicht generisches Maskulinum, sondern einfach genuslos. Das ins Deutsche zu übertragen, hat wenig Aussicht auf Erfolg.
Reicht „mitgemeint“?
Frauen haben als Zielgruppe andere Kommunikations- und Lesestrategien. Spezielle Strategien dafür entwickelt das Gender-Marketing – hier ist der Schritt vom Zielgruppen-Targeting zum Fettnäpfchen ziemlich klein. Oft bedient man Stereotype, setzt auf eher anekdotische Befunde – wer kennt nicht das Gerücht, dass Männer schlecht zuhören und Frauen schlecht einparken – und wenig auf verlässliche Studien, die es zu diesem Thema kaum gibt. Auch zu viele Anpassungen für ein Geschlecht können kontraproduktiv sein, indem sie ein Produkt für das andere Geschlecht unattraktiv machen. Das gilt auch für Anleitungen.
Für Technische Redaktionen ist es also eher schwierig, ihre Anleitungen gendergerecht zu adressieren. Gibt es schon keine belastbare Basis für die Redaktion, so gibt es auch meist kein entsprechendes Budget.
Es bleibt aber die Frage, wie Frauen in technischen Dokumenten thematisiert werden. Diese Frage ist schnell beantwortet: Frauen werden in Anleitungstexten selten explizit genannt. Es fehlt auch meist eine Aussage zur Wahl des generischen Maskulinums. Es wird einfach verwendet. Der BGH gibt grünes Licht und viele Frauen sagen, dass es sie nicht stört. Also alles in Butter?
Nicht wirklich! In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass deutsche Pluralformen nicht genus-neutral wahrgenommen werden, sondern als maskulin (zur Studie). In den Köpfen unserer Leserschaft schließen wir also Frauen aus.
Vielleicht mag so mancher jetzt argumentieren, dass es ja um die Verständlichkeit geht. Aber auch hier kommt die Wissenschaft zu anderen Schlüssen: Die Behaltensleistung bei Sachtexten ändert sich nicht signifikant, wenn statt des generischen Maskulinums die Doppelnennung (Kunden und Kundinnen) oder das Binnen-I (KundInnen) verwendet wird (zur Studie).
Auch in Sachen Verständlichkeit gibt es Entwarnung: Frauen schätzen alle drei Varianten als gleich verständlich ein, Männer dagegen finden das generische Maskulinum am leichtesten lesbar. Also doch eher ein gefühltes Problem. Letztendlich bleibt als Grund für das generische Maskulinum noch eins übrig: die Bequemlichkeit des Schreibenden.
Lohnt sich gendergerechte Dokumentation?
Besteht nun der Wille hier in Bewegung zu kommen, stellt sich noch die Frage: Lohnt sich die Umstellung? Eine Kosten-Nutzen-Analyse dürfte bei dem Thema schwierig sein. Hier trotzdem ein paar Punkte, die der Verzicht auf das generische Maskulinum verändert:
- Frauen explizit zu nennen, hat keinen negativen Einfluss auf die Vollständigkeit und Korrektheit.
- Auch die objektiv messbare Verständlichkeit leidet nicht (siehe oben).
- Hinsichtlich der Rechtssicherheit wir gendergerechte Sprache keinen Unterschied machen; es werden Sondersituationen sogar besser wiedergegeben.
- Den Schreibstil zu ändern kostet Zeit und Geld, dürfte aber von Schreibprofis leicht zu bewältigen sein. Content Reuse und spezielle Software wie Controlled Language Checker erleichtern den Umstieg.
- Unternehmen mit gendergerechten Anleitungen wirken auf Leser und vor allem Leserinnen modern, fair und zukunftsorientiert. Diese Imagewirkung ist ein großer Pluspunkt für gendergerechte Dokumentation!
So wird eine Anleitung gendergerecht
Im ersten Schritt sollten Sie sich auf ein Verfahren zur gendergerechten Formulierung einigen. Für Technische Redaktionen sind vor allem relevant:
- Paarformen (Kunden und Kundinnen)
- Ersetzung durch neutrale Formulierungen (Serviceteam statt Servicemitarbeiter, hier hilft übrigens die Website https://geschicktgendern.de)
Im zweiten Schritt gilt es die Stellen im Content zu identifizieren, die bearbeitungsbedürftig sind. Unserer Erfahrung nach sind das gar nicht so viele Stellen wie gedacht. Handlungseinweisungen werden meist im imperativischen Infinitiv formuliert und haben so keinen Geschlechtsbezug. Oft wird es kritisch im Einleitungskapitel oder an Stellen, in denen das eigene Personal genannt wird. Je nach Aufwand können diese Stellen nach und nach oder in einer Einmal-Aktion überarbeitet werden.
Als letzten Schritt empfehlen wir die Umstellung auch im Vorspann zu thematisieren. Ein kleiner Text hat hier gleich mehrfache Vorteile: Absicherung der Redaktion, imagewirksamer Hinweis, Anlass für Feedback und Hilfe bei der Fehlersuche.
Unterstützung bei der Umstellung gibt auch das neue Whitepaper unseres Partners Congree: „Gendergerechtes Schreiben mit linguistischer Intelligenz“.
Fazit
Gendergerechte Sprache ist zwar keine Kernanforderung an technische Dokumente. Sie lässt sich aber vergleichsweise aufwandsarm umsetzen, verbessert das Unternehmensimage und leistet einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit. Sie können also mit kleinem Einsatz viel bewirken!
Uns interessieren Ihre Erfahrungen! Ist Gendergerechtigkeit ein Thema in Ihrer Redaktion? Haben Sie bereits die Umstellung gemeistert? Oder halten Sie das ganze für ein Hype-Thema? Diskutieren Sie gerne mit uns!
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des Artikels „Die unsichtbare Frau“ von Markus Nickl, erschienen in der technischen kommunikation 06/2018 (für tekom-Mitglieder abrufbar unter: https://technischekommunikation.info/schwerpunktthemen/die-unsichtbare-frau-947/).