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Dr. Jan Gerwinski ist der Gewinner unseres diesjährigen doctima-Preises für berufliche Kommunikation. Nach einer Ausbildung zum Industrieelektroniker hat er in Siegen Angewandte Linguistik studiert. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut FIT in St. Augustin promovierte er 2013 zum Thema „Der Einsatzort im Kommunikationsvollzug. Zur Einbettung digitaler Medien in multimodale Praktiken der Navigation und Orientierung – am Beispiel der Feuerwehr“. Er ist assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs „locating media“ in Siegen. Seit 2014 arbeitet er als Akademischer Rat im Bereich Angewandte Linguistik an der Uni Siegen. Heute verrät uns Jan Gerwinski im doctima-Blog einige Ergebnisse aus seiner Arbeit.
Sprachwissenschaft und Relevanz
Als sprachwissenschaftlich Forschender wird man häufig mit kritischen Fragen zum eigenen Arbeitsalltag und der Forschungsrelevanz konfrontiert. Kann man dann antworten, dass man Feuerwehrleute beforscht, erhält man im ersten Moment zumindest schon mal einen kleinen ‚Relevanzbonus‘. Der ist aber schnell wieder verspielt, wenn man weiter ausführt, dass man die (sprachliche und nicht-sprachliche) Kommunikation von Feuerwehrleuten in Einsatzübungen mit Video- und Audioaufnahmegeräten aufnimmt, um ihr kommunikatives Orientierungs- und Navigationshandeln zu analysieren. „Und was bringt das der Gesellschaft?“, wird früher oder später bei den meisten (selbst angewandt‑)sprachwissenschaftlichen Forschungsprojekten explizit oder implizit gefragt.
Selbst bzgl. der Forschung zur Kommunikation zwischen Feuerwehrleuten erfolgt das in der Regel früher oder später. Ich möchte an dieser Stelle keine Grundsatzdiskussion zum Nutzen (angewandt‑) sprachwissenschaftlicher Forschung losbrechen. Stattdessen möchte ich einen kleinen Ausschnitt ausgewählter Ergebnisse präsentieren und damit aufzeigen, dass sprachwissenschaftliche Erforschung arbeitsalltäglicher Praktiken von Berufsexperten sehr wohl einen praktischen Nutzen aufweist.
Zunächst war es überhaupt sehr spannend zu beobachten, wie viel die Feuerwehrleute in den körperlich sehr anstrengenden Einsatzübungen kommunizieren, und damit einen ersten Hinweis darauf zu bekommen, wie wichtig die Kommunikation unter den Feuerwehrleuten im Einsatz ist. Zu den Kommunikationsmitteln zählt zwar v.a. die Sprache, aber ebenso zum Beispiel Berührungen und Klopfen.
Einfluss des Ortes auf die Kommunikation
Eine weitere Beobachtung war, dass die Kommunikation sich stark unterscheidet, je nachdem, ob sich die Feuerwehrleute vor Ort oder Feuerwehrleute im Gebäude mit Feuerwehrleuten außerhalb des Gebäudes unterhalten. Das betrifft zum Beispiel den Grad der Formalisierung: im Allgemeinen ist die sprachliche Kommunikation unter den räumlich Anwesenden eher informell. Unter räumlich Getrennten dagegen teilweise sehr formell.
Ich konnte des Weiteren zeigen, dass bestimmte deiktische Sprachhandlungen (z.B. rechts, geradeaus, hier, dort, ich etc.) zwar unter den Feuerwehrleuten im Gebäude unter bestimmten Bedingungen funktional sein können, aber unter spezifischen anderen Bedingungen (wie einer unterschiedlichen Körperausrichtung) und z.B. mit dem Einsatzleiter außerhalb des Gebäudes sehr dysfunktional sind und die Orientierungs- und Navigationshandlungen erschweren können. Ein weiterer Punkt betrifft die Verwendung eines teilweise nicht formalisierten sprachlichen Repertoires (z.B. zur Bezeichnung unterschiedlicher Ecken) was m.E. zusammen mit den Erkenntnissen über den Deiktika-Gebrauch mögliche Ansatzpunkte für Kommunikationstrainings für Feuerwehrleute bietet: Gewisse eingeübte und kritisch reflektierte Sprachregeln und Vereinheitlichungen können z. B. Mehrdeutigkeiten auflösen und damit helfen, Irritationen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.
Feuerwehrschlauch als Medium
Eine weitere Beobachtung betraf den von den Beteiligten mitgeführten Feuerwehrschlauch. Dieser dient nicht nur als ggf. lebensrettender Wasserspender, sondern auch als ‚Leitmedium‘ (selbst in Einsatzübungen mit den Neuen Medien). Die Feuerwehrleute geben dem Raum mithilfe des Schlauchs als selbst ausgelegtem Positions- und Wegmarker eine neue ‚Kommunikationsstruktur‘ mit neuen Hinweisen für die ‚Benutzbarkeit‘ des Raums durch Einsatzkräfte. Und zwar sowohl für sich als Auslegende selbst als auch für nachfolgende Feuerwehrleute.
Hinsichtlich der Neuen Medien und damit der Medienentwicklung für hochsicherheitsrelevante Arbeitsfelder wie das der Feuerwehr konnte ich zeigen,
- dass die neuen Auslegeobjekte einfach zu bedienen sein müssen,
- dass sie ein einfaches semantisches Grundschema aufweisen sollten, das aber individuell erweiterbar sein sollte, z. B. durch (Re‑)Kombinationen mehrerer ‚Landmarken‘ (z. B. zwei rote ‚Landmarken‘ an eine Stelle zu setzen).
- Sie sollten unbedingt (nicht nur aufgrund der einfachen Bedienbarkeit) eine sinnvolle Form aufweisen, der eine (prinzipielle) Mehrfunktionalität aufweist: Die ‚Landmarken‘ konnten zugleich als einfache Keile gebraucht werden und unterstützen damit ohnehin bestehende Arbeitspraktiken der Feuerwehrleute und wurden somit weniger als zusätzliche Last wahrgenommen.
- Sehr wichtig war stets, dass bestehende Handlungspraktiken nicht einfach ersetzt wurden, sondern durch die Neuen Medien ergänzt werden konnten.
- Die aktive Nutzung der auslegbaren Objekte/Medien statt einer passiven automatischen Auslegung ohne Zutun der Feuerwehrleute (die zu Beginn des Projekts zumindest zur Disposition stand) konnte ebenfalls sehr schnell anhand von Einsatzübungen und Gesprächen als Vorteil für die Beteiligten aufgezeigt werden.
- Schließlich erwies es sich auch nachweislich als vorteilhaft, die Nutzer von Anfang an (als gleichberechtigte Partner und Experten) in die Entwicklung einzubeziehen.
- Und bzgl. der unterschiedlichen Einsatzszenarien konnten wir offenlegen, dass die Neuen Medien ihr unterstützendes Potenzial insbesondere bei größeren und komplexen Umgebungen, wie z.B. in Parkhäusern, ausspielen.
Im Großen und Ganzen zeigen die Ergebnisse m.E., dass die Erforschung kommunikativer (Arbeits‑)Alltagswelten in verschiedener Hinsicht interessant und relevant ist. Neben den ForscherInnen und deren KollegInnen sowie der interessierten Bevölkerung, bieten die Ergebnisse (Selbst‑)Reflexions- und Verbesserungspotenzial für die Akteure im Feld sowie eine wichtige Grundlage für Technikentwickler:innen