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Jetzt mal Hand aufs Herz! Überläuft Sie auch ein leichter Schauder, wenn Sie „Werbung“ und „Anleitung“ im selben Satz lesen? Einer der Grundsätze aus dem Einführungskurs „Technische Dokumentation“ ist doch, dass Werbung in Anleitungen nichts zu suchen hat. Und das bezweifelt auch niemand.
Nun, ich bin dieser Niemand. Denn ich glaube, dass Anleitungen durchaus marketingrelevant sind und dass Anleitungen tatsächlich ihr Potenzial verspielen, wenn sie keinen Marketingnutzen entfalten. Deshalb möchte ich hier einmal mit ein paar Vorurteilen aufräumen, die ich immer wieder zu hören bekomme.
1. CI – das kümmert einen Technischen Redakteur doch nicht
Ganz ehrlich, mir passiert es immer wieder, dass ich Dokumentation zu sehen bekomme, die – sagen wir mal – „optimierungsbedürftig“ ist, was die Gestaltung angeht. Frage ich dann nach einem CI-Handbuch, dann ernte ich oft Unverständnis. Was mich wundert: Gucken diese Leute nicht auf ihre Homepage? Kennen die ihre eigenen Broschüren nicht? Haben die noch nie einen Messeauftritt ihrer Firma gesehen? Das ist alles hochprofessionell gemacht. Nur die Dokumentation sieht so altbacken aus, als müssten die Achtziger noch erfunden werden.
Wohlgemerkt, nicht jede Marketinganforderung und jedes CI-Element muss man als Technischer Redakteur oder Technische Redakteurin auch umsetzen. Die Marketingabteilung eines unserer Kunden hatte zum Beispiel festgelegt, dass die Firmenfarbe grundsätzlich für Hervorhebungen zu verwenden sei. Schade nur, dass das Unternehmenslogo signalrot war (und die Anleitung dadurch den Sicherheitsanforderungen nicht mehr gerecht geworden wäre).
2. Marketing, das heißt immer Werbung
Marketing bedeutet sehr viel mehr als Werbung. Tatsächlich ist offensive Werbung in einer Anleitung nur in Ausnahmefällen akzeptabel. Ihre Marketingstärken entfaltet Dokumentation aber in der Kundenbindung. So lassen sich auch über die Dokumentation Incentives verteilen oder auf Aktionen hinwiesen. Anleitungen und andere Produktkommunikation eignen sich auch für Image-Maßnahmen, z. B. um auf Design-Preise oder nachhaltiges Management hinzuweisen.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Kunden Ihr Produkt kaufen? Falls Sie selbst es nicht wissen – das Marketing weiß es bestimmt. Und wäre es dann nicht naheliegend, dass diese Produkteigenschaften, die Kunden besonders interessieren, auch in der Anleitung im Fokus stehen sollten? Umgekehrt gewinnen die Marketingaussagen Ihres Unternehmens aber auch an Überzeugungskraft, wenn sie durch Ihre Sachkommunikation bestätigt werden. Das Marketing in die Textplanung der Dokumentation einzubeziehen, bedeutet also für beide Seiten eine Win-win-Situation.
3. Uns in der Doku bringt das doch nichts
Das Stichwort „Win-win-Situation“ legt es ja schon nahe: Die Technische Dokumentation kann durchaus von einer engeren Zusammenarbeit mit dem Marketing profitieren. Zusammenarbeit heißt aber auch, selbstbewusst die eigenen Positionen zu vertreten.
Doch wie kann die Technische Redaktion vom Marketing lernen? Eine Stärke des Marketings ist, auf neue Kommunikationskanäle schnell und interessiert zuzugehen. In der Technischen Dokumentation bleibt dafür im Tagesgeschäft oft nicht die Zeit. Warum also nicht einmal einen Workshop mit den Marketingleuten veranstalten, in dem man gemeinsam Chancen für die Produktkommunikation auf Twitter auslotet. Oder ein Strategiepapier zur Nutzung von YouTube als Kanal für Video-Anleitungen erstellen? Wenn beide Kommunikationsabteilungen ihre Kräfte bündeln, kann effizient ein neues, kundenorientiertes Dokumentationsprodukt entstehen, das im Idealfall sogar den Gesamtaufwand senkt.
4. Die Kunden wollen in der Anleitung nicht mit Marketing gelangweilt werden
Gelangweilt will niemand werden – und schon gar nicht mit Marketing. Andererseits ist die Frage, wie man Kunden dazu motiviert, Anleitungen zu lesen, eine der wichtigsten Flanken, die in der Dokumentation derzeit offen stehen. Und wenn sich jemand auskennt mit Lesemotivation, dann sind das Marketingleute. Ein bisschen Austausch dazu könnte uns Technischen Redakteur:innen also weiß Gott nicht schaden.
5. Die Marketingleute interessieren sich doch gar nicht für die Doku
Das ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. In manchen Firmen klappt die Zusammenarbeit ganz gut, in anderen ignoriert man sich, nur sehr selten arbeitet man bewusst gegeneinander. Unabhängig davon gibt es aber gute Gründe, sich als Marketingabteilung für die Produktdokumentation zu interessieren.
In gesättigten Märkten – und dort bewegen sich in Europa ein Großteil der Unternehmen – wird das „After-Sales-Marketing“ (also die Kundenkommunikation nach dem Kauf) besonders wichtig. Es gibt derzeit keinen Kommunikationskanal, der Kunden nach dem Kauf zuverlässiger erreicht als die Produktkommunikation. Und entgegen der landläufigen Meinung werden Anleitungen durchaus gelesen.
Als Marketingabteilung wäre es also fatal, einen solchen Kommunikationskanal zu ignorieren. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht darum, die „Oberherrschaft“ über die Dokumentation an sich zu reißen – das funktioniert schon aus rechtlichen Gründen nicht. Aber durch eine sinnvolle Kooperation, die die Bedürfnisse beider Seiten achtet, lässt sich ein Mehrwert erzielen, der anders kaum zu erreichen ist.
Das habe ich auch schon bemerkt. Alles auf höchstem Niveau – bis auf die Anleitungen. Da besteht noch hoher Nachholbedarf und als Marketer sollte man durchaus einen Blick auf die Anleitungen werfen. Schließlich repräsentieren sie das Produkt sowie das Unternehmen.
Als jemand, der auf beiden “Seiten” gearbeitet hat, muss ich zumindest für Investitionsgüter abwinken. Die strengen Regularien für Dokumentation lassen praktisch null Spielraum für Marketing-Sprachhandlungen in Dokumentationstextsorten. Und dies sicherlich nicht grundlos. Lesermotivierung und -führung sind zudem kein Kerngebiet des Marketings, sondern wohl doch eher der Linguistik und Psychologie, bei denen sich das Marketing bedient. Mischtextsorten wie Produkt-Informationen, Service-Letter usw. sind ein spannendes Feld, wo sich Doku und Marketing sinnvoll begegnen könnten und sollten.
Wenn unbestritten ist, dass eine Werbeanzeige in wenigen Sekunden eine Wirkung erzielen kann, gilt dies sicher auch für die Inhalte einer technischen Dokumentation.