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Wir freuen uns über den heutigen
Gastbeitrag von Britta Görs. Seit über 10 Jahren konzipiert, erstellt, aktualisiert und optimiert Dr. Britta Görs technische Texte und Kataloge. Seit 2 Jahren ist sie Dozentin für Technische Dokumentation an der Universität Rostock. Im Herbst 2011 hat sie sich als Beraterin und Technische Redakteurin selbstständig gemacht. Normalerweise bloggt sie unter: http://www.brittagoers.de/blog/
Es ist schon interessant und bemerkenswert, dass sich verschiedene Personen unabhängig voneinander und zeitlich parallel mit dem Thema Zielgruppe der technischen Dokumentation auseinandersetzen.
- Markus Nickl veröffentlicht einen Blogbeitrag.
- Im Rahmen eines Kundenprojektes nähere ich mich gemeinsam mit den technischen Redakteuren ihrer Zielgruppe an.
- Ich bereite einen Partnervortrag zu dem Thema für die nächste Jahrestagung vor.
- Professor Jürgen Muthig und ich tauschen uns per Mail über die Notwendigkeit der Zielgruppenanalyse aus.
Aus meiner Sicht ist die Bedeutung der Zielgruppenanalyse für die technische Dokumentation unstrittig. Wer, wenn nicht die Leser können beurteilen, wie gut ein Text ist. In diesem Beitrag möchte nicht die Notwendigkeit der Zielgruppenarbeit betonen (siehe hierzu Mulder, Steve „The User Is Always Right. A Practical Guide to Creating and Using Personas for the Web“(2006); Nickl, Markus „Usability im Blindflug?“ (2009), Baumert, Andreas u. Verhein-Jarren, Annette. „Texten für die Technik. Leitfaden für Praxis und Studium“ (2012)), sondern einen pragmatischen Weg der Umsetzung skizzieren.
Wie erfahren wir, wer unsere Leser sind?
Aus meiner Erfahrung haben viele technische Redakteure eine gewisse, wenn auch vage Vorstellung von der Zielgruppe ihrer Dokumentation. Es sind Elektriker, Ärzte, Pflegepersonal, Servicetechniker, Mechatroniker, Architekten, Reinigungspersonal, Ingenieure … Was sich hinter den Berufsbezeichnungen verbirgt, wissen wahrscheinlich nur wenige Redakteure.
Wie können wir mehr über unsere Leser erfahren?
Der Frage einschließlich Antwort möchte ich mich auf zwei Wegen nähern. Häufig arbeiten Vertreter unserer Zielgruppe in derselben Firma wie wir, technischen Redakteure. Es kann zwar sein, dass eine Ärztin im medizintechnischen Unternehmen nicht als Medizinerin beschäftigt ist, sondern z.B. als Produktmanagerin. Trotzdem kann sie für uns eine wertvolle Informationsquelle sein.
Kollege = Vertreter der Zielgruppe
Wenn ein Vertreter unserer Zielgruppe im selben Unternehmen wie wir beschäftigt ist, haben wir die Möglichkeit, das Gespräch suchen. Sehr gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, die entsprechende Person um Hilfe zu bitten. Viele Menschen helfen sehr gerne weiter, fühlen sich quasi geehrt, wenn sie gefragt werden. Ebenso freuen sich Personen, ihre Erfahrungen weitergeben zu können. Die Bitte, ein paar Seiten einer Anleitung zu lesen und zu kommentieren, war für mich immer ein guter Gesprächsöffner. In dem Gespräch habe ich dann einen Vertreter der Zielgruppe erleben und viel über seine Welt erfahren können (Hinweise zu Fragetypen bei der Tecom Schweiz).
Häufig habe ich auch einen „hauseigenen“ Vertreter meiner Zielgruppe gebeten, für mich die Anleitung zu testen. Dafür habe ich ein oder zwei Aufgaben vorbereitet, die anhand der Anleitung zu lösen waren. Dabei konnte ich sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich erfuhr viel über meine Zielgruppe und ihren Umgang mit Anleitungen und diese Anleitung wurde fachkundig in einem Anleitung-Produkt-Vergleich begutachtet.
Über den Kollegen zur Zielgruppe
Wenn im selben Unternehmen wie wir kein Vertreter unserer Zielgruppe arbeitet, ist es nicht so einfach, in ein Gespräch zu kommen. In dieser Situation kann die Frage weiterhelfen, welcher Kollege Kontakt zu unserer Zielgruppe hat bzw. haben könnte. Servicetechniker, Vertriebsmitarbeiter, Projektleiter kommen dabei infrage. Vielleicht ist ja möglich, beim nächsten Serviceeinsatz mitzufahren. Mit dieser Variante habe ich sehr gute Erfahrungen gesammelt. Auf Baustellen konnte ich beobachten, wie Elektriker eine Anlage in Betrieb nehmen und wie sie bei einem Problem vorgehen. Ich war quasi eine teilnehmende Beobachterin. Dabei beobachtete ich den Umgang mit dem Produkt, die Anleitung diente (wenn überhaupt) als Nachschlagewerk. Durch diese Beobachtungen und die Gespräche mit den Servicetechnikern wie auch mit den örtlichen Elektrikern habe ich viel über die Sichtweise und die Qualifikation meiner Zielgruppe Elektriker gelernt.
Dokumentieren
Optimal ist es, die Erkenntnisse und Erfahrungen unserer Zielgruppengespräche und -beobachtungen festzuhalten. Aus meiner Sicht ist die Dokumentation sozusagen die Kür der Zielgruppenbestimmung. Die Pflicht ist die Kontaktaufnahme, das Gespräch. Die Krönung ist dann die systematische Erfassung der Erkenntnisse und die Erarbeitung der „Was macht Wer Matrix“ oder von Personas. Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, diese Aufgabe an neue Mitarbeiter der technischen Redaktion zu delegieren, vorausgesetzt, sie hatten vorher Kontakt zur Zielgruppe.
Fazit
Ich glaube, dass sich viele Redakteure Gedanken zur Zielgruppe machen, ohne dies Zielgruppenanalyse zu nennen. Aus meiner Sicht ist das Erleben und der Kontakt zu möglichst vielen Vertretern unserer Leserschaft wichtig. Dies ist möglich, wir müssen aber bereit sein, unser Büro zu verlassen.