Interkulturelle Kommunikation – (k)ein Thema für Technische Redakteure?
Nur wenige von uns Technischen Redakteuren arbeiten für Unternehmen, in denen ausschließlich für den deutschen Markt produziert wird. Interkulturelle Kompetenz sollte deshalb für alle Technischen Redakteure ein Thema sein. Ein Beispiel? Britische Hausfrauen (und -männer) stapeln Hemden anders als deutsche, nämlich mit den Kragen abwechselnd einmal oben und unten, statt alle Kragen aufeinanderzulegen. Bei einer Anleitung für Bügeleisen sollten die Abbildungen das dann auch widerspiegeln.
Nun gibt es ja eine Fülle von interkulturellen Trainings, Ratgebern, Tipps. Leider verbreiten viele – sagen wir mal gnädig – Halbwahrheiten. Das fällt uns am leichtesten auf, wenn man z. B. einen englischen Ratgeber zu Deutschland befragt. Woran denken wir wenn wir etwas Gelbes sehen? Richtig, natürlich nur an Neid – deswegen nie Gelb für deutsche Logos verwenden. Ob Netto, Uhu und die Gelben Seiten das auch wissen?
Ein wenig desillusioniert habe ich mich deshalb auf die Suche gemacht nach Informationsquellen, die über platte Rezeptweisheiten hinausgehen. Fündig geworden bin ich bei einem der bekannteren deutschen Linguisten, Hans Jürgen Heringer. Seine Einführung in die interkulturelle Kommunikation ist mittlerweile in der dritten Auflage erschienen. Allein das deutet ja schon auf Qualität. Doch wie hilfreich ist das Buch für Technische Redakteure?
“Interkulturelle Kommunikation” für Technische Redakteure
Nun ja, als ich das Buch aufgeschlagen habe, war ich erst einmal enttäuscht. Knapp die Hälfte des Buchs beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Kommunikationsbegriffs. Zumindest die jüngeren Redakteure und diejenigen mit Übersetzer-Hintergrund dürften das schon aus dem Studium kennen. Für alle, die hier noch Nachholbedarf haben, ist das aber eine durchaus gelungene Einführung.
Entschädigt hat mich dann der zweite Teil. Statt simplem Rezeptwissen vermittelt Heringer ein Instrumentarium, mit dem man kulturelle Unterschiede verstehen kann. So zeigt er etwa, in welchen Situationen kulturelle Missverständnisse besonders oft auftreten (Hotspots) und wie man Konzepte erkennt, die eine Kultur für sich als wichtig empfindet (rich points). Dabei versinkt Heringer nicht im Theoriesumpf, mit einer Fülle authentischer Beispiele macht er die Konzepte unmittelbar erfahrbar.
Das Ganze liest sich denn auch angenehm entspannt; gleichzeitig aber nie plakativ oder oberflächlich. Als Technischer Redakteur wird man mit der Zeit allerdings bedauern, dass die Beispiele ausschließlich aus Gesprächen und sozialen Situationen bestehen. Da hätte man sich gewünscht, ab und zu auch einmal schriftsprachliche Beispiele präsentiert zu bekommen. Andererseits werden in der Interaktion Probleme natürlich schneller offensichtlich. Und so mag es verständlich sein, dass sich Heringer auf die aussagekräftigsten Beispiele beschränkt.
Und nun?
“Interkulturelle Kommunikation” ist mit Sicherheit kein Buch, dass man zu Vorbereitung eines Auslandsaufenthalts lesen sollte, damit man ein paar interkulturelle Fettnäpfchen vermeidet. Wer nach simplem Rezeptwissen sucht, ist hier an der falschen Stelle.
Wer sich aber ernsthaft und eingehender mit Interkulturalität beschäftigen möchte, dem liefert das Buch ein geistiges Rüstzeug an die Hand, mit dem sich interkulturelle Problemstellen leichter identifizieren lassen und interkulturelle Probleme einfacher analysieren. Und das alles auf 240 großzügig bedruckten Seiten, die man bequem einmal nebenbei lesen kann.
Literatur: Heringer, Hans Jürgen [(3)2010]: Interkulturelle Kommunikation, Narr Francke Attempto Verlag Tübingen, ISBN: 978-3-8252-2550-6
Vielen Dank für diesen Artikel. Bei der Suche nach Blogartikel zu interkulturellen Themen bin ich darauf gestoßen.
Tatsächlich gibt es sehr wenig auf dem Gebiet, das für Technische Redakteure tatsächlich von Nutzen sein kann. Vielleicht hilfreich ist das Buch “Interkulturelles Webdesign: Andere Länder, andere Seiten”.
Auch nicht ganz passend, aber immerhin geht es um für Technische Redakteure relevante Informationen.
Wirklich spannend wäre es mal, wenn sich jemand an das Thema mit Artikeln und dann einem Buch widmen würde. 🙂
Viele Grüße
Steffen Henkel