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Freitag, 22 Uhr: Die CNC-Fräse zeigt Fehlermeldung E-47, die Nachtschicht steht still. Ein intelligenter Chatbot, der rund um die Uhr präzise Hilfestellung gibt – das war die Vision, die viele von uns nach dem ChatGPT-Durchbruch hatten. Drei Jahre später ist die Realität ernüchternder als erhofft. KI-Chatbots haben sich in der Technischen Redaktion noch nicht durchgesetzt. Woran liegt das?
Die große Hoffnung: Endlich intelligente Antworten auf komplexe Fragen
Hatten Sie nicht auch die Erwartung, dass KI-Chatbots endlich eines unserer zentralen Probleme lösen würden? Komplexe Informationsbestände so aufzubereiten, dass verschiedene Zielgruppen schnell die richtigen Antworten finden.
- Servicetechniker:innen erhalten direkt vor Ort passende Anweisungen
- Kund:innen bekommen rund um die Uhr qualifizierte Unterstützung
- Support-Hotlines werden entlastet, während gleichzeitig die Hilfequalität steigt
- Nachfragen und Präzisierungen sind im Gesprächsverlauf problemlos möglich
In der Praxis zeigten sich jedoch schnell die Grenzen. Antworten, die auf den ersten Blick plausibel wirken, erweisen sich bei genauerem Hinsehen oft als unbrauchbar oder sogar gefährlich – besonders bei sicherheitsrelevanten Themen.
Warum liefern KI-Systeme in der Technischen Redaktion oft enttäuschende Ergebnisse?
Das Kernproblem liegt in einem fundamentalen Widerspruch: Aktuelle Sprachmodelle sind darauf optimiert, möglichst natürlich und menschenähnlich zu kommunizieren. In der Technischen Redaktion haben wir jedoch jahrzehntelang daran gearbeitet, genau diese Eigenschaften der Alltagssprache zu überwinden.
Unsere Texte sollen präzise, eindeutig und interpretationsfrei sein. Sie verwenden bewusst eine standardisierte Terminologie und vermeiden sprachliche Variation. Diese „maschinennahe“ Sprache ist das Gegenteil dessen, was große Sprachmodelle gelernt haben.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Trainingsdaten der KI-Systeme hauptsächlich aus allgemeinsprachlichen Texten bestehen – Blogs, Belletristik, Webseiten. Gebrauchsanleitungen sind dagegen kaum vertreten, und firmenspezifische Dokumentationen sind überhaupt nicht Teil des Trainings.
Die häufigsten Schwachstellen zeigen sich in zwei Bereichen:
Sprachwissen:
- Falsche oder inkonsistente Fachterminologie
- Unpassender Kommunikationsstil für technische Inhalte
- Mangelhafte Lokalisierung für spezifische Branchen
Weltwissen:
- Fehlendes Verständnis für Naturgesetze und technische Prozesse
- Unkenntnis über Produktlebenszyklen und deren Anforderungen
- Mangelnde Kenntnis spezifischer Produktmerkmale und -funktionen
Das Gefährliche dabei: KI-Systeme liefern oft Antworten, die auf den ersten Blick plausibel wirken, bei genauerem Hinsehen aber völlig unbrauchbar oder sogar schädlich sind. Eine pauschale Aussage wie „Alle Ventilatoren sind für den Außenbereich geeignet“ kann zu erheblichen Schäden führen.
Zwei Wege aus dem Dilemma
Für Technische Redaktionen gibt es grundsätzlich zwei Ansätze, um die Limitationen aktueller KI-Systeme zu überwinden:
- Feintuning des Sprachmodells:
Sie trainieren das Sprachmodell mit fachspezifischen Inhalten nach und passen es dauerhaft an Ihre Anforderungen an. Dieser Ansatz bietet Ihnen sehr gute Ergebnisse, erfordert aber erhebliche Ressourcen. - Retrieval Augmented Generation (RAG):
Sie lassen das Grundmodell unverändert, reichern es aber bei jeder Anfrage mit relevanten Informationen aus Ihren Wissensdatenbanken an. Diese Methode bietet Ihnen mehr Flexibilität und verursacht geringere Kosten.
Beim RAG-Ansatz sind besonders Knowledge Graphs vielversprechend. Sie ermöglichen im Gegensatz zu einfachen Textsuchen oder Vektoren (siehe Infokasten) echte Schlussfolgerungen, da sie Zusammenhänge zwischen Informationen strukturiert abbilden. Mehr Details zu beiden Ansätzen und deren praktischer Umsetzung behandeln wir in separaten Artikeln.
Vektoren sind numerische Darstellungen von Objekten (z. B. Texten), die deren Bedeutung erfassen. Dadurch können Inhalte nicht nur nach exakten Übereinstimmungen, sondern auch anhand ihrer semantischen Ähnlichkeit gesucht werden.
Was funktioniert bereits heute?
Moderne KI-Chatbots entwickeln sich von einfachen Antwortsystemen zu intelligenten Agenten, die eigenständig in verschiedenen Datenquellen recherchieren können. Besonders vielversprechend sind RAG-Chatbots, die Textgenerierung mit gezieltem Wissensabruf aus Unternehmensdatenbanken verbinden.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch nicht in der perfekten KI-Technologie, sondern in systematisch aufbereiteten Informationsbeständen. Viele Technische Redaktionen verfügen bereits über die notwendigen Daten. Der Reifegrad dieser Daten für KI-Anwendungen ist jedoch oft zu niedrig – etwa aufgrund fehlender Klassifikation oder mangelhafter Modularisierung. Daher müssen Daten für den KI-Ansatz zunächst aufbereitet werden. Die Bewertung des Content-Reifegrads ist tatsächlich ein wesentlicher Schritt unserer Roadmap zur Einführung von KI im Unternehmen. Der größte Aufwand liegt in der Strukturierung und Modellierung der Daten entsprechend der jeweiligen Anwendungsfälle. Nur wenn diese Daten strukturiert und zugänglich aufbereitet sind, können KI-Systeme effektiv genutzt werden.
Fazit
Beginnen Sie mit unkritischen Anwendungsfällen, bei denen falsche Antworten keinen Schaden anrichten. Sammeln Sie Erfahrungen und bauen Sie schrittweise eine robuste Wissensbasis auf. Die größten Fortschritte erzielen Sie nicht durch bessere Allzweck-Sprachmodelle, sondern durch die intelligente Verknüpfung von KI-Technologie mit Ihren fachspezifisch aufbereiteten Inhalten.
Dieser Blogartikel ist eine Zusammenfassung des Artikels „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ aus der technischen kommunikation 06/2025 (S. 30-35). Diese Ausgabe ist als PDF frei verfügbar.



