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Die Umstellung auf ein modernes Component-Contentmanagement-System (CCMS) ist geschafft, die Inhalte liegen in XML vor, topicbasiertes Arbeiten ist etabliert – und dennoch stimmt etwas nicht, wenn die Dokumentation in verschiedenen Medien ausgegeben wird. Warum? Weil ein entscheidender Aspekt der Medienneutralität oft übersehen wird: die Sprache selbst.
Die versteckte Herausforderung der Medienneutralität
Wer glaubt, dass Medienneutralität allein durch XML oder ein anderes strukturiertes Format erreicht wird, übersieht einen entscheidenden Faktor: die Sprache selbst. Die Art, wie wir Inhalte formulieren, kann ebenso mediengebunden sein wie das Format, in dem sie gespeichert werden.
Mediengebundener Wortschatz
Ein erster Stolperstein sind Begriffe, die sich auf bestimmte Medien beziehen:
- Medienspezifische Elemente: Seite, Kapitel, Fußnote, Klappentext
- Medientypische Handlungen: klicken, blättern, navigieren
- Layoutmerkmale: Kopfzeile, Link, Marginalie
- Textsortentypische Bezeichnungen: Benutzerhandbuch, Einleitung, Fazit
Solche Begriffe funktionieren nicht mehr, wenn der Content in einem anderen Medium dargestellt wird. Der Verweis „im Kapitel Sicherheit“ macht in einer Webdokumentation wenig Sinn, wo nicht mehr mit Kapiteln, sondern mit Themenseiten gearbeitet wird.
Die tückischen Verweise
Besonders problematisch sind Textverweise wie „siehe oben“, „bereits erwähnt“ oder „wie im vorherigen Abschnitt beschrieben“. In digitalen Medien, wo die Linearität eines Textes oft aufgebrochen wird, können solche Bezüge ins Leere führen. Was ist „oben“, wenn der Nutzer durch eine Suchfunktion direkt zu dieser Stelle gelangt ist?
Grammatikalische Fallstricke an den Modulgrenzen
Weniger offensichtlich, aber mindestens genauso herausfordernd sind die grammatikalischen Aspekte der Medienneutralität – insbesondere an den Modulgrenzen:
Pronomen ohne Bezug
Bei der Aufteilung von Inhalten in Module kann es passieren, dass Pronomen von ihren Bezugswörtern getrennt werden:
„Die Maschine ist mit einem Notschalter ausgestattet. Er befindet sich an der rechten Seite.“
Wird hier eine Modulgrenze zwischen den Sätzen eingefügt, fehlt dem „Er“ plötzlich der Bezug zur „Maschine“.
Das Problem mit den Artikeln
Auch der Gebrauch von Artikeln kann problematisch werden. Der bestimmte Artikel (der/die/das) zeigt an, dass etwas bereits bekannt oder zuvor erwähnt wurde. Liegt nun eine Modulgrenze zwischen Vorerwähnung und Wiederaufnahme, führt das zu Verwirrung:
„Für die Installation benötigen Sie einen Schraubendreher. Der Schraubendreher sollte eine Klingenbreite von 5 mm haben.“
Wird der zweite Satz in einem separaten Modul verwendet, erscheint der bestimmte Artikel unmotiviert.
Praktische Lösungsansätze
Die sprachlichen Herausforderungen der Medienneutralität mögen auf den ersten Blick entmutigend wirken. Immerhin gehören Artikel und Pronomen zu den häufigsten Wörtern in unseren Texten, und mediengebundene Begriffe sind tief in unserem Fachwortschatz verankert.Doch mit einem strategischen Ansatz lassen sich auch diese Hürden überwinden.
Aus unserer Projekterfahrung wissen wir, dass eine Kombination aus vorausschauender Planung und gezielter Nachbearbeitung den Weg zu wirklich medienneutralen Inhalten ebnet. Die folgenden Ansätze haben sich in der Praxis bewährt und lassen sich sowohl auf Bestandsdokumentationen als auch bei der Erstellung neuer Inhalte anwenden:
- Terminologiearbeit:
Identifizieren Sie mediengebundene Begriffe und definieren Sie medienneutrale Alternativen. - Modulbewusstes Schreiben:
Achten Sie beim Verfassen auf zukünftige Modulgrenzen. - Qualitätssicherung:
Konzentrieren Sie sich bei der Prüfung besonders auf die ersten und letzten Sätze der Module. - Selbstständige Module:
Gestalten Sie jedes Modul so, dass es auch ohne Kontext verständlich ist.
Fazit: Medienneutralität als ganzheitliche Aufgabe
Die technische Umstellung auf medienneutrale Datenhaltung ist nur der erste Schritt. Die wirkliche Herausforderung liegt in der sprachlichen Anpassung unserer Inhalte. Wie wir gesehen haben, umfasst dies sowohl den gezielten Einsatz von Terminologie als auch ein grundlegendes Verständnis für die Auswirkungen grammatikalischer Strukturen auf die Wiederverwendbarkeit.
Haben Sie ähnliche Erfahrungen mit medienneutraler Sprache gemacht? Welche Strategien setzen Sie in Ihrer Technischen Redaktion ein? Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns in den Kommentaren!