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„Das macht der nur einmal.“ Mit diesem Satz kommentierte ein Konstrukteur in einem Kundenprojekt süffisant die Frage nach dem Umgang mit einem risikoträchtigen Bauteil. Es entbrach ein reger Austausch über Warnhinweise an der Maschine.
Tatsächlich ist der Knackpunkt des Problems ein anderer. Es geht nicht um die Frage nach Warnhinweisen oder nicht. Auch nicht darum, wie sie aussehen sollten. Es geht darum, ob die Gefahr konstruktiv gelöst werden kann. Und falls dem nicht so ist, sollte das in der Risikobeurteilung stehen.
Und da haben wir das Thema unseres Artikels: Die Risikobeurteilung dürfte Technischen Redakteur:innen vor allem im Maschinenbau gut bekannt sein. Früher oder später landet sie auf ihren Tischen. Bevor wir uns typische Szenarien für diese Begegnung anschauen, erst einmal ein Blick auf die Basics: Was ist eine Risikobeurteilung? Warum machen wir sie? Was beinhaltet sie?
Risikobeurteilung: Rechtliche Grundlagen und Bedeutung
Eine Risikobeurteilung ist ein systematischer iterativer Prozess zur Identifizierung, Analyse und Bewertung von Gefährdungen, die von einem Produkt ausgehen können. Das Ziel der Risikobeurteilung ist es, diese Risiken auf ein akzeptables Maß zu reduzieren.
Die Pflicht zur Durchführung einer Risikobeurteilung ist in verschiedenen europäischen Rechtsvorschriften verankert:
- Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG
Definiert ein „sicheres Produkt“ als eines, das bei normaler oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung nur geringe, vertretbare Gefahren birgt. - Maschinenrichtlinie bzw. Maschinenverordnung
Fordert explizit eine dokumentierte Risikobeurteilung als Teil der technischen Unterlagen. - Blue Guide der EU
Stellt klar, dass Hersteller eine Risikoanalyse durchführen müssen, um die für ihr Produkt zutreffenden wesentlichen Anforderungen zu bestimmen. - Produkthaftungsrecht
Eine sorgfältige Risikobeurteilung schützt Hersteller vor Schadensfällen und damit verbundenen Schadensersatzansprüchen aufgrund von Konstruktions- oder Instruktionsfehlern.
Die Kernpunkte der Risikobeurteilung sind:
- Bestimmung der Grenzen des Produkts (Verwendungsgrenzen, räumliche Grenzen, zeitliche Grenzen) und seiner bestimmungsgemäßen Verwendung
- Identifikation aller möglichen Gefährdungen
- Einschätzung des Risikos für jede Gefährdung
- Bewertung, ob das Risiko akzeptabel ist
- Ergreifen von Maßnahmen zur Risikominderung, wenn nötig
- Dokumentation der Restrisiken
Eine fundierte Risikobeurteilung ist nicht nur rechtlich verpflichtend, sondern auch der einzige Weg, um zu gewährleisten, dass ein Produkt tatsächlich sicher ist und die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts erfüllt.
So viel zur Theorie, kommen wir zur Begegnung und zum Zusammenspiel mit der Technischen Redaktion. Ich schildere mal verschiedene Szenarien, die wir in unseren Kundenprojekten vorfinden.
Risikobeurteilung und Technische Redaktion
Am Ende der Nahrungskette: Risikobeurteilung als Vorgabe für Technische Redaktionen
Im ersten Szenario sind verschiedene Abteilungen im Unternehmen am Erstellungsprozess der Risikobeurteilung beteiligt. Üblicherweise ist hier die Konstruktion bzw. Entwicklung federführend, während Produktmanagement und Kundenservice als Stakeholder ihre Meinung äußern. Nicht selten ist die Rechtsabteilung beratend aktiv.
Die Technische Redaktion steht in diesem Szenario am „Ende der Nahrungskette“ und erhält die Risikobeurteilung als Vorgabe für die Erstellung der Montage- oder Betriebsanleitung. Falls vertraglich vereinbart, erhalten mitunter am Ende auch die Kunden die Risikobeurteilung.
Der schwarze Peter: Risikobeurteilung als Aufgabe der Technischen Redaktion
Immer wieder sehen wir auch die Situation, dass die Technische Redaktion für die Erstellung der Risikobeurteilung zuständig ist. Aus der Entwicklungsabteilung werden dafür Informationen zur Verfügung gestellt, und die restlichen Stakeholder wie Produktmanagement oder Kundenservice äußern sich dazu. Gegebenenfalls mischt die Rechtsabteilung auch noch mit. Der schwarze Peter jedoch wurde der Technischen Redaktion zugeschoben: Sie ist für die Risikobeurteilung und die Informationsprodukte verantwortlich.
Jeder ist sich selbst der Nächste: Konstruktion und Redaktion arbeiten isoliert
Im dritten Szenario, das wir beobachtet haben, arbeiten Konstruktionsabteilung und Technische Redaktion weitestgehend isoliert. Die Risikobeurteilung wird von den Konstukteur:innen als Arbeitsmittel und für die Normenkonformität erstellt. In der Zwischenzeit arbeiten die Redakteur:innen nach bestem Wissen und Gewissen an den Anleitungen. Beeinflussungen und Meinungen werden an beide vonseiten der restlichen Stakeholder herangetragen. Interne Befindlichkeiten und Konflikte sind in dieser Situation keine Seltenheit. Jeder ist sich eben selbst der Nächste.
So läuft es rund bei der Risikobeurteilung
Dass alle drei Vorgehensweisen nicht optimal sind, ist wohl offensichtlich. Natürlich gibt es auch Mischformen und weniger dramatische Zustände, aber irgendwo hakt es eigentlich fast immer. Am besten läuft es unserer Erfahrung nach, wenn Konstruktion und Redaktion gemeinsam Maßnahmen zur Risikominderung diskutieren und entwickeln, natürlich unter Einbeziehung der weiteren Stakeholder. Dies können bevorzugt konstruktive oder – falls das nicht möglich ist – instruktive Lösungen sein. Auch Maßnahmen wie Schulungen oder persönliche Schutzausrüstung können Ergebnisse des Prozesses sein. Wichtig ist das oberste Ziel, das Risiko auf ein akzeptables Minimum zu reduzieren. Wir haben hier im Blog schon darüber geschrieben, wie die Zusammenarbeit zwischen Technischer Redaktion und Entwicklung besser läuft und auch darüber, welche Gestaltungshoheit die Technische Redaktion hat.
Aber selbst in der optimalen Konstellation läuft es oft nicht rund. Ein Grund dafür ist auch eine grundlegende Fehleinschätzung: Viele der Beteiligten stellen sich unter Risikobeurteilung ein Dokument vor, das Vorgaben formuliert. Tatsächlich verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Risikobeurteilung“ ein systematischer, iterativer Prozess. Zentrale Elemente der Beurteilung sind die Risikobewertung und die Risikokontrolle. Und genau an dieser Stelle ist die iterative Natur des Prozesses entscheidend: Die Erreichung des Ziels, das Risiko auf ein akzeptables Minimun zu reduzieren, muss natürlich kontrolliert werden. Im Zweifelsfall müssen Maßnahmen erneut diskutiert und nachgeschärft werden, also zurück auf Anfang in die nächste Schleife.
Am Ende des Prozesses steht natürlich ein Dokument, aber das Dokument ist weniger Vorgabe als Prozessergebnis. Da der Prozess im Optimalfall konstruktionsbegleitend abläuft, profitiert davon auch die Technische Redaktion. Die Informationsprodukte sind inhaltlich konsistenter und deren Erstellung dazu noch schneller. Den Prozess Risikobeurteilung strukturiert aufzubauen, lohnt sich also in jedem Fall.
Jetzt möchte ich natürlich von Ihnen wissen: Wie läuft zurzeit bei Ihnen die Risikobeurteilung ab?
FAQ
Eine Risikobeurteilung ist ein systematischer, iterativer Prozess zur Identifizierung, Analyse und Bewertung von Gefährdungen, die von einem Produkt ausgehen können. Ziel ist es, diese Risiken auf ein akzeptables Maß zu reduzieren – nicht nur als Pflichtdokument, sondern als kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
Die Pflicht zur Durchführung einer Risikobeurteilung ist in europäischen Rechtsvorschriften wie der Produktsicherheitsrichtlinie, der Maschinenrichtlinie und dem Blue Guide der EU verankert. Sie schützt Hersteller vor Schadensfällen und damit verbundenen Schadensersatzansprüchen bei Konstruktions- oder Instruktionsfehlern.
In der Praxis gibt es verschiedene Szenarien: Die Technische Redaktion erhält die Risikobeurteilung als Vorgabe, ist selbst für die Erstellung verantwortlich oder arbeitet isoliert von der Konstruktionsabteilung. Optimal ist eine enge Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Risikominderungsmaßnahmen.
Viele Beteiligte verstehen die Risikobeurteilung fälschlicherweise als einmaliges Dokument statt als iterativen Prozess. Zudem führt die isolierte Arbeitsweise verschiedener Abteilungen zu Konflikten und suboptimalen Lösungen. Oft werden Warnhinweise als Allheilmittel betrachtet, statt konstruktive Lösungen zu priorisieren.
Am besten funktioniert es, wenn Konstruktion und Redaktion gemeinsam Maßnahmen zur Risikominderung entwickeln und alle relevanten Stakeholder einbeziehen. Der Prozess sollte konstruktionsbegleitend ablaufen und iterativ geprüft werden, ob das Risiko tatsächlich auf ein akzeptables Minimum reduziert wurde.