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Wir müssen über Terminologiemanagement reden. Dringend. Warum schon wieder dieses langwierige Thema, denken Sie sich? Genau deswegen. Wir beobachten immer mehr, dass Technische Redaktionen unzufrieden mit ihrem Terminologieprozess sind. Laut unseren Umfragen sind sogar 94 % der Technischen Redaktionen der Meinung, keinen funktionierenden Terminologieprozess zu haben. Das ist eine ordentliche Hausnummer. Gleichzeitig finden viele Technische Redakteur:innen, dass Terminologie für die Technische Dokumentation enorm wichtig ist und gemacht werden sollte. Hier passt etwas nicht zusammen, oder? Und genau da kommt Bare Bones Terminology ins Spiel.
„Sollte gemacht werden“ – oft bleibt es bei dieser vagen Zielsetzung, und das Thema Terminologie rutscht auf der Roadmap immer weiter nach hinten. Andere Themen sind halt wichtiger. „Terminologie“ bekommt einen negativen Beigeschmack und erzeugt Augenrollen bei allen Beteiligten. Wie die letzten Umzugskisten, die noch unausgepackt im Keller verstauben. Woran liegt das? Wir haben uns dazu ein paar Gedanken gemacht.
Der klassische Terminologieprozess: zu starr und kaum praxistauglich
Zunächst einmal vorweg die gute Nachricht: Es ist nicht die Schuld der Technischen Redakteur:innen, wenn es mit der Terminologiearbeit nicht vorangeht. Es liegt vielmehr daran, dass innerhalb der gesamten Branche eine überzogene Vorstellung davon herrscht, wie Terminologie in Unternehmen betrieben werden sollte.
Schauen wir uns erst einmal genau an, worüber wir hier reden. Gegenstand der Terminologiearbeit ist im Grunde die Verwaltung und Standardisierung von Fachausdrücken eines Unternehmens, um eine reibungslose Kommunikation herzustellen. So weit, so gut. Der Klassische Terminologieprozess, wie im 9-Phasen-Modell nach Drewer, enthält folgende Schritte (vgl. Drewer/Ziegler 2014:164):
- Zielsetzung und Planung, wie Terminologiemanagement im Unternehmen umgesetzt werden kann
- Gewinnung vorhandener Terminologie im Unternehmen
- Begriffliche Systematisierung der Terminologie
- Sprachliche Bewertung und Bereinigung der Terminologie
- Generieren neuer Benennungen
- Terminologieverwaltung
- Terminologiebereitstellung im Unternehmen
- Pflege und QS der Terminologie
- Kontrolle der Terminologieverwendung im Content
In der Fachliteratur wird empfohlen, das Vorhaben von Beginn an auf ein Pilotprojekt einzuschränken, z. B. innerhalb eines Teams oder einer Abteilung. Nach dem erfolgreichen Abarbeiten der Prozessschritte kann dann der unternehmensweite Roll-Out gestartet werden.
Puh, klingt nach einem enorm aufwendigen und langwierigen Projekt, oder? Unsere Beobachtung in der Praxis: Trotz anfänglicher Bereitschaft scheitert das Projekt „Terminologie“, sobald mehr Beteiligte am Tisch sitzen.
Das grundlegende Problem, das wir sehen: Terminologiemanagement wird immer als unternehmensweiter Prozess nach dem Top-Down-Prinzip durchgeführt und dem restlichen Unternehmen quasi „aufgezwungen“. Man will die Gesamtheit der unternehmensweiten Sprache auf den Kopf stellen, um zur Verwaltung der einzelnen Benennungen zu kommen. Das beinhaltet natürlich enorme Anforderungen: ein Umkrempeln bestehender Unternehmensprozesse, eine riesige Masse an Sprachdaten und die Beteiligung sämtlicher Kolleg:innen, die erst mal dazu motiviert werden müssten, etwas an ihrer Arbeit zu ändern oder mehr Arbeit zu übernehmen.
Die Theorie hat natürlich ihre Berechtigung, indem sie einen übergreifenden Rahmen schafft und ideale Forderungen an das Terminologiemanagement stellt. In wirtschaftlich agierenden Unternehmen sind diese akademischen und dogmatischen Forderungen jedoch zu starr und auf lange Sicht kaum praxistauglich. Aber wie kann eine Alternative zu diesem Ganz-oder-gar-nicht-Ansatz aussehen?
Bare Bones Terminology: agil, zielorientiert, zweckgebunden
Die Frage, die wir im ersten Schritt zur Zielsetzung und Planung eigentlich klären müssen, ist: „Was will ich mit Terminologie konkret erreichen?“. Die überwiegende Mehrheit der Technischen Redakteur:innen antwortet auf diese Frage mit „Konsistenz“ oder „sprachliche Qualität“. Aber seien wir mal ganz ehrlich: Uns Sprachprofis mag das ja ein echtes Anliegen sein, aber wen interessiert so ein vages Qualitätsziel aus unternehmerischer Sicht?
Interessant sind harte Fakten wie das Einsparen von unnötigen Zeiten und Ressourcen. Wenn durch fehlende „Qualität“ kein deutlich spürbares Problem für das Unternehmen entsteht, dann ist es einfach nicht wichtig genug – und das ist auch richtig so. Terminologiearbeit ist kein Selbstzweck. Interessant wird es doch erst, wenn kryptische und inkonsistente Ersatzteilbezeichnungen dazu führen, dass pro Woche 20 Mal das Telefon beim Support klingelt und Kunden nachfragen, was sie eigentlich bestellen sollen, weil das anhand des Ersatzteilkatalogs, der Website und der Dokumentation nicht ersichtlich ist.
Mit Terminologiearbeit können wir solche konkreten Probleme lösen, die durch Sprache entstehen. Es reicht nicht aus, einen guten Terminologiebestand zu haben, sondern die Effekte müssen auch deutlich spürbar sein.
Unser Bare-Bones-Ansatz ist es also, den Prozess umzudrehen: Von Top-Down zu Bottom-Up! Wir fangen bei einem konkreten Bedarf an und nutzen ein Minimum an weiterführenden Prozessschritten. Die Terminologiearbeit hört an dem Punkt auf, an dem das Problem gelöst ist. Ende. Terminologie als Präventivmaßnahme für potenzielle Fälle, die womöglich nie eintreten, gibt es nicht. Verabschieden wir uns von der aktuell herrschenden Idealvorstellung und kommen wir ins Machen – Bare Bones Terminology ist nicht schwer. Wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, dass wir nur das Nötigste tun und eigentlich so viel mehr gemacht werden müsste.
Modernes Terminologiemanagement muss sehr viel agiler, zielorientierter und zweckgebunden sein. Wie sehen Sie das? Mich würde auch interessieren: Was sind Ihre konkreten Probleme, die Sie mit Terminologie lösen wollen?
Literatur:
Drewer, Ziegler (2014): Technische Dokumentation. Eine Einführung in die übersetzungsgerechte Texterstellung und in das Content-Management. 2. Aufl., Würzburg, Deutschland: Vogel Verlag.
FAQ
Der Grund liegt oft in ambitionierten Zielsetzungen und realitätsfernen theoretischen Modellen. Viele Unternehmen versuchen, Terminologie als vollständigen unternehmensweiten Prozess einzuführen. Diese komplexe Top-Down-Methode erfordert enorme Ressourcen und das Engagement aller Kolleginnen und Kollegen – und scheitert deshalb, sobald sie über die Planungsphase hinausgeht.
Klassisches Terminologiemanagement folgt einem Top-Down-Prinzip mit definierten Phasen und wird komplett durchgeführt, auch wenn es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Bare Bones Terminology dagegen arbeitet agil und Bottom-Up: Es beginnt bei konkreten Problemen und endet, sobald diese gelöst sind.
Der größte Nutzen liegt im Einsparen von Zeit und Ressourcen, beispielsweise, wenn unklare Ersatzteilbezeichnungen zu ständigen Nachfragen im Support führen. Terminologiearbeit löst konkrete Kommunikationsprobleme und sollte messbare Effekte haben, statt nur vage Qualitätsziele zu verfolgen.
Starte mit einem konkreten Problem, das durch Sprache entsteht. Nutze nur die nötigsten Prozessschritte, um dieses zu lösen. Verzichte auf präventive Maßnahmen für theoretische Probleme und konzentriere dich auf das Wesentliche. Der Schlüssel ist, aktiv ins Machen zu kommen.
Nein. Entgegen der klassischen Lehrmeinung ist es oft effektiver, gezielt dort anzusetzen, wo konkrete Probleme bestehen. Modernes Terminologiemanagement verzichtet auf den unternehmensweiten Roll-Out und konzentriert sich auf spezifische Bereiche, in denen sprachliche Inkonsistenzen zu messbaren Nachteilen führen.